Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenheide

Hexenheide

Titel: Hexenheide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: aerts
Vom Netzwerk:
murmelt Karim mit finsterem Gesicht vor sich hin. Auf jeden Fall ist es mehr als nur eine Kugel aus Glas, da ist sich Karim sicher. Die seltsamen Strahlen, die wie leuchtend grüne Laserlichter durch das Zimmer getanzt sind, und das alles aus einer so kleinen grünen Kugel, das war nicht normal. Und so, wie sie Lenne hypnotisiert hat, da konnte einem angst und bange werden. Karim hatte noch nie erlebt, wie jemand innerhalb von Sekunden derart seine Persönlichkeit verändert hat. Er bleibt kurz stehen. Er glaubt plötzlich zu verstehen, was los ist: Die grüne Kugel ist so verhext worden, dass sie den Empfänger des Geschenks in den Bann des Schenkenden zieht. Karim schluckt mühsam. Das würde bedeuten, dass Lenne jetzt unter dem Einfluss der Frau mit den weißen Haaren steht! Würde sie Lenne auch damit rufen können? Er blickt zur Hexenheide hinüber. Vielleicht ist das bereits geschehen, vielleicht hat die weiße Hexe Lenne schon zu sich gerufen. Ich bin zu spät, denkt Karim. Ich bin heute Morgen zu spät zu Lennes Haus gekommen. Sie war schon weg. Dann ist es auch meine Schuld, wenn sie nun verschwunden ist! Oder ist ihr vielleicht doch nichts passiert? Er rennt los. Zur Schule, um zu sehen, ob es Lenne gut geht!
    Als er auf den Schulhof rennt, klingelt es schon. Ohne anzuhalten, sprintet Karim weiter bis vor die Tür seines Klassenzimmers. Sein Blick fällt auf die Garderobenhaken. Lennes Jacke? Wo ist Lennes Jacke? Mit einem Seufzer der Erleichterung lässt Karim sich gegen die Wand sacken, als er sie sieht. Zum Glück ist sie da! Und Lenne sitzt ganz normal im Klassenzimmer, ordentlich in der ersten Reihe, wo sie immer sitzt.
    In der Pause merkt Karim, dass seine Erleichterung verfrüht war. Lenne lehnt lustlos an einer Mauer und will mit niemandem sprechen. Sie scheint das alltägliche Gerede total uninteressant zu finden. Ein paar Kinder stehen in ihrer Nähe, darunter auch Malika, mit der sie immer gut befreundet war. Sie wechselt kein Wort mit ihnen, allenfalls kommt mal ein muffeliges »Hm« oder »Ach«. Ihr Blick schweift ständig über den Schulhof, als ob sie viel lieber irgendwo anders wäre.
    Während der Mittagspause kriegt Lenne von einem der Lehrer im Aufenthaltsraum einen kräftigen Rüffel, weil sie ihre Butterbrote am Tisch zerkrümelt wie ein kleines Kind.
    Karim sieht den Blick, mit dem Lenne auf die Rüge reagiert und verschluckt sich an seinem Käsebrot. Ihre Augen wirken schärfer als je zuvor, und er hat doch schon einige Male kräftig mit ihr gestritten! Katzenaugen, das ist das erste Wort, das ihm dazu in den Sinn kommt. Und fast verschluckt er sich noch schlimmer. Das war es, was Lenne über die Frau im Wasser gesagt hat. Sie hatte Katzenaugen.
    Während des Werkunterrichts, bei dem alle durcheinanderlaufen, versucht er, in ihre Nähe zu kommen, denn er will die Augen genauer betrachten können. Lässig schlendert er mit einer Tube in der Hand an dem Tisch entlang, an dem Lenne eigentlich mit einer Arbeit beschäftigt sein müsste, aber sie spielt nur geistesabwesend mit ein paar Nägeln herum. »Brauchst du etwas Leim?«
    Sie schaut auf.
    Waren ihre Augen immer schon so grün? Karim legt ihr die Tube mit dem Kleber auf den Tisch. Lennes Augen scheinen zu strahlen, sie glänzen wie bei jemandem, der hohes Fieber hat. Karim weiß allerdings aus Erfahrung, dass man bei hohem Fieber meistens auch knallrote Wangen hat – er hatte selbst im letzten Jahr eine schwere Grippe –, aber Lennes Wangen sind blass. »Hast du schlecht geschlafen?«
    »Geschlafen?« Lenne lacht, ein mitleidiges Lachen. »Ich hab überhaupt nicht geschlafen.«
    Karims Finger spielen nervös an der Tischkante herum. Was soll er ihr sagen?
    Lenne selbst sagt auch nichts, sie sieht ihn nur abweisend an.
    »Was, äh … machst du nach der Schule?«, fragt Karim. »Wollen wir was zusammen machen?«
    »Eigentlich nicht«, antwortet Lenne, und damit, so scheint es, ist für sie das Gespräch beendet.
     
    Nach der Schule geht Karim in einigem Abstand hinter Lenne her. Auch wenn sie nicht mit ihm spielen mag, will er doch mit eigenen Augen sehen, dass sie sicher nach Hause kommt.
    Bei dem umgetretenen Zaun bleibt Lenne mit einem verlangenden Blick in den Augen stehen. Karim sieht, wie sie Anstalten macht, über den Stacheldraht hinweg auf die Heide zu gelangen.
    Und dann passiert plötzlich alles gleichzeitig.
    Eine Frau überquert auf Lennes Höhe die Straße von der Gegenseite. Offenbar hat sie das Auto nicht gesehen,

Weitere Kostenlose Bücher