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Hexenheide

Hexenheide

Titel: Hexenheide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: aerts
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der Garten etwas Trauriges. Karim denkt unwillkürlich an das, was Lennes Mutter gesagt hat: die Tage kürzer und die Nächte länger, Kälte und Dunkelheit, nicht die beste Zeit.
    Er dreht sich zu Lenne um, die noch immer mitten im Zimmer steht und die Glaskugel an ihre Brust gedrückt hält, als ob sie ihr liebster Besitz wäre. »Die ist hier hingelegt worden«, sagt er mit gedämpfter Stimme, »V on jemandem …« Er deutet nach draußen. Er weiß es plötzlich ganz sicher. Lennes Zimmer liegt im ersten Stock, und das Fenster befindet sich einige Meter über dem Boden. Die einzige Leiter in der Nähe ist das alte Ding, das von Efeu überwuchert im welkenden Gras liegt. Wer sollte also von außen an Lennes Fensterbrett kommen können? An der Murmel ist etwas sehr Unheimliches, Lennes Verhalten ist nicht normal, so benimmt sie sich sonst nicht. Karim hat bei Lenne noch nie eine so ungesunde Habgier erlebt, sie hatte noch nie Probleme mit dem Teilen gehabt. Aber jetzt umklammert sie den Glasgegenstand wie ein besitzergreifendes kleines Kind, mit einem Gesicht, als würde sie ihn sofort anspringen, sobald er auch nur den geringsten Versuch unternehmen würde, ihn ihr abzuluchsen. Karim hat keine jüngeren Brüder oder Schwestern – er ist ein Einzelkind genau wie Lenne –, aber er erinnert sich auf einmal an die kleinen Neffen von Lenne, die im letzten Sommer zu Besuch waren und sich um jedes Spielzeug gestritten haben. Man brauchte ihnen nur ein Spielzeugauto zu zeigen, und schon fingen sie an zu schreien: »Das ist meins! Das ist meins!« Dasselbe kann man jetzt auch in Lennes Augen erkennen. Und das beunruhigt Karim. Das beunruhigt ihn mehr als alle Gruselfeste zusammen. »Lenne?« Ganz vorsichtig, Zentimeter um Zentimeter, streckt Karim eine Hand in ihre Richtung aus. Es würde ihn nicht verwundern, wenn sie gleich anfinge, zu fauchen wie eine Wildkatze.
    Lenne geht einen Schritt zurück.
    »Ich fasse sie nicht an«, sagt Karim beschwichtigend. »Ich will sie nur mal angucken, in Ordnung?« Er sieht an Lennes Bewegungen, dass sie sich wirklich bemüht, ihren Verstand zu gebrauchen, um einfach ihre Hände zu öffnen und ihm zu zeigen, was sie da hat. Sie beißt sich auf die Lippen und zwinkert wütend mit den Augenlidern. Langsam kommt Karim noch etwas näher. »Sieh mal, du kannst sie doch weiter festhalten, ich lege meine Hände auf den Rücken, und ich fummele an nichts rum. Lass mich einfach nur mal gucken.«
    Zögernd öffnet Lenne ihre Hände.
    Karim bleibt stehen, wo er ist. Er sieht nichts Eigenartiges an der Kugel, außer dass sie einfach irgendwie besonders ist. Was macht man damit? Für eine Murmel ist sie zu groß. Sie ist zu schwer und zu empfindlich, um damit Ball zu spielen. Sie besteht aus leuchtend grünem Glas. »Halt sie doch einmal gegen das Licht«, schlägt er Lenne vor. Behutsam schiebt er sich um Lenne herum. »Nein, ich mache nichts, ich will mich nur hinter dich stellen, um einmal durch die Kugel zu gucken.«
    Die Glaskugel fängt einen Sonnenstrahl ein, der durch das Fenster hereinfällt. Sofort werden nach allen Seiten grüne Lichter reflektiert. Das ist seltsam, denkt Karim. Er würde es verstehen, wenn die Kugel geschliffen wäre wie ein Diamant. Doch wie kann so eine glatte runde Form den Lichtstrahl auf diese Art brechen und in alle Richtungen reflektieren? Grüne Strahlen tanzen durch Lennes Zimmer und werfen an alle Wände zuckende Lichtflecke. Nervös schließt Lenne ihre Hände schnell wieder um die Kugel. Sie macht ein abweisendes Gesicht, als sie dann sagt: »Ich denke, dass du jetzt wieder gehen musst.«
    »Du willst, dass ich gehe?« Karim bleibt der Mund offen stehen. »Aber wir wollten doch … Ich hab gedacht, dass wir noch …«
    Lenne lässt sich auf ihr Bett fallen und kriecht nach hinten, bis sie mit angezogenen Beinen in der Ecke sitzt, die Glaskugel in ihren geschlossenen Händen. »Ich will, dass du gehst.«
    Karim will noch etwas sagen, weiß aber nicht, was. Er betrachtet die seltsame Szene. Das ist nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut! Hier passiert etwas ganz Unheimliches. Ihm wird klar, dass es keinen Sinn hat, noch irgendetwas zu Lenne zu sagen. Er dreht sich um, geht aus dem Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.
    In der Küche blickt Marit verwundert auf, als er an ihr vorbeikommt. »He …«
    Karim geht weiter.
    »Karim, habt ihr Streit oder so was?«
    »Weiß-nich«, nuschelt Karim. »Lenne …« Nein, er kann es Marit nicht erzählen. »Lenne

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