Hexenheide
Schüler.
»Grauenhaft!« Karim grinst.
»Wollen wir reingehen?«, schlägt Lenne vor.
Karim nickt.
Drinnen hängen sie ihre Jacken an die Garderobenhaken. Nun können sie ihre Kostüme gegenseitig bewundern.
»Was ist da in dem Beutel?«, fragt Karim.
Lenne hat sich eine Schnur um die Hüfte gebunden, an der ein Baumwollbeutel hängt. »Was glaubst du?«
»Doch ein Messer?«
Lenne schüttelt den Kopf. »Nein, meine grüne Murmel natürlich, du Dumpfbacke.«
Karim erschrickt. »Ach du je, hast du die bei dir?«
»Warum nicht? Heute Abend bin ich doch bestimmt eine Hexe.«
»Ja, aber pass auf«, murmelt Karim.
»Wollen wir schon was essen?«, fragt Jesse.
Aber Karim und Lenne wollen erst mal durch die Schule gehen. In jedem Klassenzimmer kann man etwas anderes erleben, zum Beispiel Spinnenschnappen.
»Wie Wurstschnappen, nur etwas anders«, sagt Lenne.
»Die sind aus Lakritz.« Karim nickt. »Wollen wir es auch mal probieren?«
»Ach nein, das ist für die Kindergartenknirpse, das Seil hängt viel zu niedrig. Außerdem weißt du doch, dass ich kein Lakritz mag.«
»Seid ihr schon in der Klasse von Linda gewesen?«, fragt Malika, die mit einer frischen Tüte voller Lakritzspinnen vorbeikommt. »Sie ist als Wahrsagerin verkleidet, sitzt an einem Tisch mit einer Glaskugel, und du kannst dir die Zukunft vorhersagen lassen. Zum Brüllen komisch.«
»Komm, wir gehen mal gucken!« Lenne greift nach Karims Arm.
»Ich glaub nicht, dass ich so schrecklich viel Zukunft hab, dass ich sie mir auch noch vorhersagen lassen muss.« Karim grinst. »Ich bleib wahrscheinlich noch ziemlich lange tot.«
Aber sie gehen dann doch hin. Die Schlange der Wartenden ist so lang, dass sie bis auf den Flur hinausreicht.
»Puh, das wird noch lange dauern.« Lenne seufzt.
»Wer ist das?«
»Wo? Wen meinst du?«
»Die Frau mit dem Zylinder.« Karim deutet in ihre Richtung.
Lenne sieht hin und zuckt mit den Schultern. Eine Frau mit einem schwarzen altmodischen Männerhut auf dem Kopf und einem langen dunklen Umhang, der ihr bis auf die Füße fällt, verschwindet gerade um eine Ecke. »Wahrscheinlich eine von den Müttern. Sag mal, du willst doch jetzt nicht den ganzen Abend überall Hexen sehen, oder?«
»Hm … nein«, sagt Karim und wird rot. Aber trotzdem schiebt er die Hand auf die Stelle, wo er das Medaillon unter seiner Kleidung weiß.
Lenne sieht die Bewegung und verzieht den Mund. »Also das hast du gedacht.«
»Na ja … all die verrückt verkleideten Menschen hier, und ich kenne nicht mal die Hälfte davon.«
»Es laufen halt auch ziemlich viele Eltern rum.«
»Ja und? Kannst du den Unterschied zwischen einer verkleideten Mutter und einer verkleideten Hexe erkennen?«
Lenne blickt an Karim vorbei auf eine Frau, die auf sie zukommt. Vor dem Gesicht hat sie eine Maske, und die Haare hängen ihr in feuerroten Locken bis auf die Schultern. »Nein«, muss Lenne zugeben. Sie sieht der Frau hinterher. Sie hätte ebenso gut Erin sein können, nur hat die vielleicht etwas mehr Locken. »Aber willst du dir damit das ganze Fest vermiesen?«
»Ich kann nichts dran ändern, dass ich es unheimlich finde«, sagt Karim leise.
»Komm, wir gehen jetzt was Scheußliches essen«, versucht Lenne, Karim aufzuheitern. »Ich hab die ganzen schönen Kuchen gesehen, die aussehen wie Totenschädel. Wenn wir zu lange warten, sind sie alle weg.« Aber Karim hat inzwischen auch ihr Misstrauen geweckt, und nun sieht sie überall verdächtige Gestalten. Die Flure und die Halle sind mit Kerzen und Teelichtern nur schlecht beleuchtet, und in der Düsternis sieht jede Frau, die ein langes Kleid trägt, aus wie eine Hexe.
Tapfer versuchen sie, sich unbekümmert und vergnügt in alberne Gruselspielchen zu stürzen, sich bis zum Abwinken mit seltsamen Häppchen vollzustopfen und in einem abgedunkelten Raum zu unheimlicher, quietschender und kreischender Musik zu tanzen.
Wieder in der Halle, lässt sich Karim von Marit einen Becher mit grüner Grusellimonade geben. Er geht an den beladenen Tischen vorbei. »Hast du die schon probiert?«, fragt Jesse, der bei einem Korb mit runden Brötchen steht, die unheimliche Gesichter haben. »Die Augen, das sind einfach Rosinen, aber woraus die scharfen Zähne gemacht sind, das weiß ich nicht.«
Karim beugt sich vor. »Mandeln«, meint er. »Aufgeschnittene Mandeln.«
Jesse beißt ab. »Ja, du hast recht.«
»Sind die lecker?«
»Hm, geht so. Bisschen langweilig.«
»Ich glaub, ich nehme ganz einfach
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