Hexenheide
Tür der Eingangshalle sieht, winkt er ihr. »Kommst du mir helfen?«
»Drinnen ist alles fertig«, sagt sie, sobald sie bei ihm ist. »Mann, das musst du dir mal ansehen! Echt gruselig. Vor allem, wenn es heute Abend dunkel ist!«
Karim blickt Lenne zurückhaltend an. »Schön gruselig … oder unheimlich gruselig?«
Lenne zieht die Augenbrauen hoch. »Wieso?« Mit Herrn Paul daneben kann sie Karim schlecht eine direkte Frage stellen, aber sie sieht an seinem Gesicht, dass irgendetwas passiert ist.
Der Lehrer kriegt nichts mit, er ist voll damit beschäftigt, Zweige und Hölzchen über den Knien entzweizubrechen und zwischen die Papierbällchen in den Korb zu stecken. »Leute, das wird fantastisch. Eigentlich sollte ich mir noch was überlegen, was man über dem Feuer rösten kann. Marshmallows oder so. Sachen, die man auf einen Stock spießt und die dann so schön zerschmelzen.«
»Kastanien«, murmelt Karim. »Das geht auch mit Kastanien.«
Herr Paul sieht ihn verwundert an. »Oh, du kennst das.« Er lacht. »Junge, das ist altmodisch, geröstete Kastanien. Ich glaube nicht, dass die heutzutage noch jemand isst.«
Aber ja doch, denkt Karim, erst letzte Woche hab ich noch eine gegessen. Aber er sagt: »Oh, nein, das muss nicht sein.«
Der Lehrer stößt einen Seufzer aus. »Schade, dass kein Sommer mehr ist. Ich fürchte, dass es heute Abend viel zu kalt ist, um hier draußen rumzustehen und so schöne Sachen zu machen. Ach, und außerdem gibt es drinnen genug Leckeres. Sind die Tische schön geworden, Lenne?«
»Ja, sehr schön«, antwortet Lenne automatisch, denn noch immer hat sie Karims besorgten Blick vor Augen. Er sieht gar nicht mehr fröhlich aus.
»Na, dann sind wir fertig.« Herr Paul sieht auf die Uhr. »Schon fast fünf Uhr. Ihr müsst jetzt mal nach Hause gehen, sonst werden eure Eltern unruhig.«
»Nein, nein.« Lenne schüttelt den Kopf. »Meine Mutter ist gerade weg, und ich hab gesagt, dass ich auch gleich gehe.«
»Zum Glück ist es noch nicht dunkel«, sagt Karim und blickt zögernd nach oben, wo sich der Himmel hellorange färbt.
»Ich geh schnell meine Jacke holen«, sagt Lenne und klopft Karim leicht auf den Rücken. Was ist los mit ihm? »Bin gleich zurück.«
Herr Paul geht mit ihr rein. »Bis heute Abend, Karim.«
Karim nickt. »Bis heute Abend.« Es fröstelt ihn, und er steckt seine Hände tief in die Jackentaschen. Mit den Augen sucht er den Schulhof ab. Noch irgendwelche unheimlichen Katzen? Ungeduldig hin- und hergehend, wartet er auf Lenne. Ah, da ist sie ja endlich.
»Was ist los mit dir?«, will sie sofort wissen, sobald sie nahe genug ist. »Du benimmst dich so komisch.«
Karim macht den Mund auf. Und dann macht er ihn wieder zu. Er will Lenne nicht beunruhigen. Da ist es wahrscheinlich besser, still zu sein. »Nichts!«, sagt er daher. »Hier draußen ist mir zu kalt geworden, und ich möchte gern nach Hause gehen.«
Zusammen verlassen sie den Schulhof.
Karim sieht sich noch einmal kurz um, er kann es nicht lassen.
Der Sonnenuntergang spiegelt sich grellorange in den Fenstern der Schule.
»Es sieht fast so aus, als würde es da drinnen brennen«, meint Lenne. »Sehr seltsam. Siehst du das? All die orangen Fenster, genau so, als würde da drinnen alles in Flammen stehen.«
»Ha-ha«, unternimmt Karim den Versuch, zu lachen. Er guckt zu den spiegelnden Fenstern und bildet sich ein, einen Schatten hinter dem dritten Fenster von links zu sehen. Er weiß, dass das Unsinn ist, denn die Fenster reflektieren das rotgelbe Sonnenlicht so grell, dass nichts mehr dahinter zu erkennen ist. Und doch sieht er es, eine Gestalt, die ihnen hinterherstarrt. Schnell läuft er zu Lenne, während er spürt, wie der Blick grüner Augen seinen Rücken prickeln lässt. Das ist nur Einbildung, sagt er sich streng, es ist Einbildung, da ist niemand, niemand steht hinter dem Fenster, niemand, der uns nachschaut. Niemand. Mein Gehirn ist überhitzt, ich sehe Gespenster. Nein, keine Gespenster, ich sehe Hexen. Ich sehe Hexen, wo keine sind. Ich sehe Katzen mit komischen Schatten. Ich sehe … ich sehe, was niemand sieht. Ich sehe niemanden. Da ist niemand. Er greift nach Lennes Hand. »Komm, wir rennen, dann wird uns wenigstens wieder warm.«
23
Karims Vater bringt ihn zu Lenne. Sie haben gerade bei ihr geklingelt, um sie abzuholen. Grinsend betrachtet Noud Karims geschminkten blassgrauen Kopf. »Also du siehst ganz entzückend aus!«
Lenne nickt
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