Hexenheide
ohne Masken. Einige sind leicht zu erkennen, doch andere bleiben hinter ihrer Schminke, den Perücken und Hüten verborgen.
Karim beschließt, nach draußen zu gehen, wo er vielleicht Herrn Paul fragen kann. Der ist immer noch schwer mit seinen Feuern beschäftigt.
»Ah, Karim, du kommst wie gerufen. Geh mir doch bitte schnell mal was zu trinken holen.«
»Ja, aber … ja, gut. Ich bin gleich zurück.« Da kann er sich nur schlecht weigern. Der arme Lehrer, der ist hier draußen am Verdursten. Und außerdem ist ihm wahrscheinlich kalt. »Aber haben Sie Lenne vielleicht gesehen?«
»Lenne? Ja, ich hab euch zusammen gesehen, als ihr gekommen seid. Sie ist eine bildschöne Hexe.«
»Ja, das weiß ich, aber danach, haben Sie sie danach noch mal gesehen?«
Herr Paul schüttelt den Kopf. »Nein, hier draußen ist sie nicht gewesen.«
Karim trabt wieder in die Halle. »Jesse!«, ruft er.
Jesse ist hinten in der Halle, wo er mit Arne und ein paar anderen Jungen ein bisschen Radau macht. »Jesse, würdest du dem Paul draußen bitte was Warmes zu trinken bringen? Ich hab’s ihm versprochen, möchte aber gern noch weitersuchen.«
»Suchen? Hast du sie denn immer noch nicht gefunden?«
Karim schüttelt kurz den Kopf und geht schnell weiter. Leichte Panik steigt in ihm auf. Wieder tastet seine Hand nach dem Hubbel, den er durch Weste und Hemd spüren kann. Da ist das Medaillon. Soll er Erin rufen, oder ist das in diesem Augenblick total lächerlich? Kann er das einfach so machen, nur weil er Lenne im Moment nicht so schnell findet? Was würde Erin dazu sagen? Stell dir vor, du rufst, und Lenne sitzt einfach nur gemütlich in einem der Klassenzimmer und macht was Schönes? Dann hätte er sich ganz schön blamiert. Doch der Name kommt ihm, ehe er es sich versieht, einfach über die Lippen. Nur ganz leise. Er flüstert ihn: »Erin?« Es kommt wie von selbst. Er wirft noch einen Blick in den Vorschulflur.
Am Ende des Flurs bewegt sich jemand mit feuerroten Locken, den Rücken ihm zugekehrt, offensichtlich auf dem Weg zur Turnhalle.
Karim empfindet die Erleichterung wie einen Schlag. Ist sie das? Das muss sie sein, denn wer hat sonst so einen Schopf kupferfarbener Locken, die bis über die Schultern fallen? Aber warum läuft sie dann von ihm weg?
Karim rennt hinterher. Ungeschickt bahnt er sich einen Weg zwischen den Knirpsen hindurch. Beinahe hätte er jemanden umgerannt. Soll er ihren Namen rufen? Nein, es ist besser, wenn er versucht, sie einzuholen. Er wird etwas schneller. Irgendjemand sagt etwas zu ihm, eine wütende Mutter, die findet, dass er sich nicht so rüpelhaft zwischen den Kleinen durchdrängeln dürfe. »Entschuldigung«, murmelt Karim ein zweites Mal, während er schon eilig weiterläuft.
Die Frau mit den roten Haaren biegt in den Flur zur Turnhalle ein. Will sie ihn vielleicht irgendwo alleine sprechen, irgendwo, wo sie nicht gestört werden? Will sie von niemandem gesehen werden? Eigentlich blöd, findet Karim, das hier ist eine Gelegenheit wie keine andere, bei der man als Hexe nun wirklich nicht auffällt. Niemand auf diesem Fest hätte wegen einer Hexe zweimal hingeguckt.
Als er um die Ecke kommt, sieht er die roten Locken gerade noch durch die Tür zu den Umkleideräumen verschwinden. Karim rennt hinterher. Seine Schritte hallen in dem leeren Gang. Er reißt die Tür auf. In den Umkleideräumen ist es noch dunkler. Es gibt nur ein paar kleine, hoch gelegene Fenster, und draußen verbirgt sich der Mond immer noch hinter den Wolken. Karim lässt seine Augen sich ein paar Sekunden an die Dunkelheit gewöhnen. Aber da ist niemand. Ist sie weiter in die Turnhalle gelaufen? Warum benimmt sie sich so scheu? Er findet es nicht so toll, alleine durch diese leeren, stillen und düsteren Räume laufen zu müssen. Tagsüber ist es hier ganz anders, dann ist es hell, laut und belebt. Jetzt aber dringt nur von Weitem etwas von dem Stimmengewirr des Festes bis zu dieser Stille durch. Am liebsten würde Karim umdrehen und dorthin zurückgehen, zurück zum Fest und den anderen Menschen. Zögernd legt er seine Hand an die Tür, die zur Turnhalle führt. Er muss aber zumindest nachsehen. Er muss ja nicht mehr machen, als seinen Kopf um die Ecke zu strecken, um zu sehen, ob Erin da ist. Wenn sie nicht da ist, dann kann er schnell wieder verschwinden. Er drückt die Tür auf.
Die Frau mit den roten Locken steht mit dem Rücken zu ihm hinten in der Turnhalle.
»Erin?« Karim kann selbst hören, wie seltsam seine
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