Hexenheide
einen Apfel«, seufzt Karim und nimmt sich aus einem Korb einen knallroten Apfel, der auf ein Stöckchen aufgespießt ist.
»Der ist wahrscheinlich vergiftet.« Jesse grinst.
»Könnte gut sein.«
»Zucker«, sagt Jesse, der schon einen gegessen hatte, »das sind Zuckeräpfel.«
Karim versucht, ein kleines Stückchen abzubeißen. »Das Ding ist ja steinhart.«
»Das kommt vom Gift.«
Karim starrt seinen Apfel an. Wie isst man so was? Vielleicht muss er daran lecken wie bei einem Lutscher? »He, Lenne …« Er dreht sich um. »Lenne?«
»Die ist da entlang.« Jesse streckt den Arm aus. »So wie sie aussah, muss sie was richtig Ekeliges ausspucken.« Lachend zuckt er mit den Schultern. »Ein paar von den Eltern haben den Auftrag, etwas Schauerliches zu essen zu machen, wohl zu wörtlich genommen.«
»Wohin ist sie gegangen? Hast du das gesehen?«
»In Richtung Knirpsenklo.«
Vielleicht kann ich den komischen Apfel da auch irgendwo loswerden, denkt Karim. Er kann ihn jetzt, wo er schon daran geleckt hat, nicht mehr zurücklegen. Besonders lecker findet er ihn nicht.
Der Flur, in dem die Vorschulklassenzimmer liegen, ist voller kleiner Gespenster und Monster, die ausgelassen schreien und herumrennen. In den Klassenräumen finden Spiele statt, die nicht ganz so unheimlich sind. Mit einem leichten Lächeln schaut Karim hinein. Vor langer Zeit hat er selbst einmal in diesem Klassenzimmer gesessen. Da kommt ein kleiner Junge in einem roten Kostüm vorbei. Karim hat keine Ahnung, als was der Junge geht, aber auf Backen und Kinn sind schwarze Bartstoppeln gezeichnet. Mit großen Augen blickt der kleine Junge auf Karims Apfel.
»Willst du?«
Der Junge nickt begehrlich.
Karim beschließt, ihm besser nicht zu erzählen, dass er schon davon probiert hat. Soweit er weiß, hat er keine ansteckenden Krankheiten, also kann das dem Kind auch nichts schaden. Höchstens, dass es ein Loch im Zahn bekommt. Und so ist er den Apfel wenigstens los.
Karim betritt die Toilette. Nacheinander macht er alle Türen auf. Er sieht winzig kleine Kloschüsseln, aber keine Lenne. Eine Kabine ist besetzt. »Lenne?« Keine Antwort. Karim wartet ein Weilchen. Nach rund einer Minute kommt ein kleines Mädchen heraus. »Mist!«, murmelt Karim. Steht er hier und wartet für nichts und wieder nichts.
Er geht weiter. Links ist die Halle, wo er Lenne nicht gesehen hat. Sie könnte ja inzwischen wieder zurückgegangen sein, vielleicht aber auch in die andere Richtung. Obwohl, da ist nur noch ein weiteres Vorschulklassenzimmer und, wenn man um die Ecke biegt, der Flur, der zur Turnhalle führt. Da ist alles dunkel. Aber vielleicht sollte er doch einmal schnell nachsehen.
Karim drängelt sich zwischen all den kleinen Gespenstern und verkleideten Eltern durch. Aus Versehen stößt er jemandem die Zipfelmütze vom Kopf. »Entschuldigung.«
Als er dann in den Flur nach rechts abgebogen ist und in dunkle, unbeleuchtete Räume schaut, kommen ihm Zweifel. Lenne hat da nichts zu suchen, warum sollte sie hierhergekommen sein? Nein, es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sie, vor allem nach ihrem Gespräch über möglicherweise verkleidete Hexen, hierhergegangen ist. Es ist so still und verlassen hier, das Fest findet woanders statt, und niemand würde nur zum Spaß hierherkommen.
Karim dreht sich um und geht zurück in das Festgewühl, zum Tisch mit den Sachen, die es zu essen gibt. Marit schenkt da noch immer Limonade aus.
»Marit? Weißt du, wo Lenne ist?«
»Nein, Karim. Habt ihr euch in dem Gedränge verloren?«
Karim nickt. »Ich seh mal kurz in unserem eigenen Klassenzimmer nach, vielleicht ist sie da.«
Doch in ihrem eigenen Klassenzimmer ist nicht viel los. Da sitzen nur ein paar Klassenkameraden und spielen Karten, wobei jeder, der einen Fehler macht, mit roter Schminke einen Blutstrich ins Gesicht bekommt.
Ziemlich albern, findet Karim, und so bedankt er sich auch nur, als er gefragt wird, ob er mitmachen will.
Im Flur stößt er wieder mit Jesse zusammen. »Hast du Lenne noch mal gesehen? Bei den Vorschulklassen hab ich sie nicht gefunden.«
»Sie ist aber echt in die Richtung gegangen.«
Karim macht ein finsteres Gesicht. Inzwischen findet er das gar nicht mehr so lustig. Ihm wird ganz unheimlich. Es sieht Lenne gar nicht ähnlich, einfach, ohne ihm was zu sagen, allein wegzugehen. Sie hätte ihm doch wenigstens kurz Bescheid sagen können. Beunruhigt guckt er sich um. Hexen, Zauberer, Monster, Gespenster. Kleine und große. Mit und
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