Hexenheide
begeistert. »Du bist total gruselig, Karim!«
»Meine Mutter hat das gemacht«, sagt Karim. »Mit Schwarz, Weiß und Braun durcheinander, schrecklich, was? Sieht das Blut auch ein bisschen echt aus?« Er zieht den Reißverschluss seiner Jacke auf und lässt Lenne seine Kleidung sehen.
»Meine Güte, was für ekelige Klamotten!«, sagt Lenne und nimmt einen Zipfel von Karims zerrissenem weißen Oberhemd zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Das Hemd hat meinem Vater gehört. Es hat einen Fleck abbekommen, der nicht mehr rausgegangen ist, deshalb konnte ich es haben. Da sind jetzt jede Menge schmierige Sachen dran. Das hier ist Schuhcreme und das da Ketchup.«
»Bah«, sagt Lenne und rümpft die Nase. »Und woher hast du die Weste?«
»Lustig, was? Das ist eine echte Großvaterweste. Meine Mutter hat sie vor langer Zeit gebraucht gekauft, als ich mal als alter Opa zum Karneval wollte.«
»Ja, ich erinnere mich dran, glaub ich.« Mit schief gelegtem Kopf schaut Lenne ein paar Sekunden auf die Westentasche. »Ich finde, da gehört noch eine Uhr rein, weißt du, so eine, wie wir sie auf dem Dachboden gefunden haben. Wart mal kurz …« Sie dreht sich um und rennt die Treppe hoch in ihr Zimmer. Gleich darauf kommt sie mit der Uhr an der alten Uhrkette zurück. »Darf ich?«, fragt sie Noud.
»T ja, jetzt kann ich wohl kaum noch Nein sagen.« Er seufzt. »Sei schön vorsichtig damit, Karim, ja?«
»Sieh mal, ich mach sie an dem Knopf fest.« Lenne zeigt es Noud. »So kann sie nicht verloren gehen.«
Karim zieht die Uhr aus der Tasche und sagt mit einer krächzenden alten Stimme: »Wie lange bin ich schon tot?«
Lenne lacht schallend. »Ja, das musst du heute Abend unbedingt immer wieder rufen!«
»Ich muss allerdings sagen, dass Lenne ein erheblich erfreulicherer Anblick ist«, sagt Karims Vater lachend.
»Ich bin eine Hexe«, sagt Lenne.
»Ach ja?«, fragt Karims Vater interessiert. »Aber dann eine schöne. Ich hab gedacht, dass Hexen krumm und hässlich sind und große Hakennasen haben.«
Karim und Lenne sehen sich an. »Gar nicht«, sagen sie gleichzeitig.
Lenne verabschiedet sich von Noud. »Marit ist schon weg«, sagt sie dann zu Karim. »Die Eltern, die etwas vorbereitet haben, mussten schon um halb sieben da sein. Sie ist mit dem Auto los. Alle Flaschen mit dem grünen Saft und Taschen voller Äpfel hinten drin. Ich hoffe nur, dass auch jemand anderes was zu trinken gemacht hat, denn ich hab schon sechs Gläser von dem grünen Zeug getrunken.«
»Ist deine Mutter auch verkleidet?«
»Ja, aber ich weiß nicht, als was. Sie selbst weiß es auch nicht. Sie hat sich das Gesicht grün geschminkt.«
»V ielleicht ist sie ein außerirdisches Wesen«, meint Karim.
»Jedenfalls passt sie farblich gut zu ihrem widerlichen Saft«, sagt Lenne.
Es ist ruhig auf der Straße, doch je näher sie der Schule kommen, desto seltsamere Wesen sehen sie herumlaufen.
»Sieh mal, ein Pirat.« Lenne zeigt mit dem Finger. »Und da, ein Gespenst.«
»Da ist noch eins.«
Auf dem Schulhof ist es ganz weiß von Gespenstern.
»Was bin ich froh, dass mir doch noch etwas anderes eingefallen ist«, meint Karim.
»He, Karim!«, ruft ihm ein Vampir ins Ohr. »Was bist du?«
»Hallo, Jesse«, begrüßt ihn Karim. »Ich bin tot.«
»Karim ist eine alte Leiche«, informiert ihn Lenne kichernd. »Ekelig, was?«
Die Feuerkörbe brennen und werfen ein herrlich gespenstisches Licht in die Dunkelheit.
»Es ist auch noch Vollmond«, sagt Jesse.
»Ich sehe überhaupt keinen Mond.« Karim runzelt die Stirn.
»Der ist hinter den Wolken«, antwortet Jesse. »Aber ich hab ihn früher am Abend schon mal gesehen, und er war echt ganz rund. Hallo, Arne, bist du Frankensteins Monster?«
»Sehe ich ein bisschen so aus?«
»Eigentlich schon. Wie findest du Karim? Er ist eine tote Leiche.«
»Nein«, verbessert Karim. »Eine lebendige Leiche, ein Zombie.«
»Bah«, sagt Arne, »scheußlich.«
Herr Paul hält bei seinen Feuern Wache und passt auf, dass nichts schiefgeht. Er trägt eine komische schwarze Perücke mit wirren Haaren auf dem Kopf, und auf dem Rücken hat er sich einen Buckel angebracht. Ein paar Kinder aus der ersten Klasse trauen sich nicht an ihm vorbei. »Ich bin es doch nur, Herr Paul, von der sechsten Klasse«, sagt er beruhigend, doch eines der Kinder fängt prompt an zu weinen. Zum Glück ist eine Lehrerin da, die sich um den kleinen Jungen kümmert. »Sehe ich denn so schlimm aus?«, fragt Herr Paul erstaunt seine
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