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Hexenjagd in Lerchenbach

Hexenjagd in Lerchenbach

Titel: Hexenjagd in Lerchenbach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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besonders lang.
    Dort saß ein großer Teil der
Lerchenbacher Männerwelt — und sprach dem Bier eifrig zu. Ihre Frauen hatten
sie zu Hause gelassen. Nicht wenige von denen befanden sich allerdings im
zweiten Gasthaus, das ZUM STERN hieß. Dort schmeckte der Kuchen besser. Und das
zieht Frauen bekanntlich stärker an als schäumendes Bier.
    Schnellen Schritts kam Ute Petermann
aus dem Garten zurück. Sie setzte ein Tablett mit leeren Gläsern an der Theke
ab, sagte: „Fünf Helle und zwei Schnäpse!“ zu dem Schankkellner und strich sich
eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn.
    Sie war eine aparte Frau mit schmalem
Gesicht. Letzte Nacht hatte sie bis 2 Uhr gearbeitet — und dann morgens um 9
Uhr den Dienst wieder aufgenommen. Erschöpfung machte ihre Haut blaß und legte
Schatten unter ihre Augen.
    „Hast du Bärbelchen gesehen?“ fragte
sie den Schankkellner.
    „Vorhin war sie noch hier.“
    Er stellte die gefüllten Gläser aufs
Tablett.
    Als Ute zum Biergarten hinaus ging,
hielt sie nach ihrem Töchterchen Ausschau. Aber der Dorfplatz war leer.
    Sie servierte, wischte dann zwei leere
Tische ab, wo Trunkenbolde die Gläser umgekippt hatten, schob Stühle zurecht
und blickte vorwurfsvoll zu einer Amsel auf. Der Vogel saß in der Kastanie und
ließ in diesem Moment etwas fallen, das bestimmt nicht auf einen Tisch gehört.
Es landete im Aschenbecher.
    „Pfui! Das tut man nicht!“ sagte sie
lachend; und der Vogel sträubte, als hätte er sie verstanden, sein Gefieder.
    Als sie ins Haus zurückging, sah sie
eine Gestalt, die die Dorfstraße herunter kam. Es war ein Mann. Aber ihre müden
Augen erkannten nicht, um wen es sich handelte. Er schleppte einen kleinen
Koffer und bewegte sich langsam.
    Die Gaststube war leer. Ute stützte
sich auf die Theke. Für einen Moment winkelte sie das linke Bein an, dann das
andere — um die geschwollenen Füße zu entlasten.
    Sie hörte, wie jemand eintrat, sich
vorn an den Fenstertisch setzte und etwas auf den Boden stellte.
    Der Schankkellner war für einen Moment
in die Küche gegangen und aß dort Wiener Würstchen mit scharfem Senf.
    Einen Moment noch, dachte Ute, die Füße
entkrampfen — dann mache ich weiter.
    „Bedienung!“ hörte sie eine barsche
Männerstimme, die ihr irgendwie bekannt schien.
    „Komme sofort!“
    Wenn der wüßte, dachte sie, was ich
geschuftet habe, würde er mir den Augenblick zum Verschnaufen gönnen.
    Dann gab sie sich einen Ruck, wandte
sich um und ging zu dem Fenstertisch.
    Vor den Scheiben gleißte grelles
Sonnenlicht. Sie sah nur die Umrisse des Mannes. Er blätterte in einer Zeitung
und blickte erst auf, als sie vor ihm stand.
    In dieser Sekunde erkannte sie ihn:
Werner Schilling, Jochers ehemaligen Knecht, den Kerl, der ihren Mann auf dem
Gewissen hatte.
    Auch er erkannte sie. In seinem groben
Gesicht klappte der Mund auf.
    Utes Hände fühlten sich wie Eis an. Ihr
Herz schlug schneller. Sie war unfähig, etwas zu sagen.
    Aber sie dachte: Richtig! Seine
Strafzeit muß abgelaufen sein. Warum habe ich daran nicht mehr gedacht? An
diesen Kerl, der sich damals betrunken hat wie ein Vieh und dann mit einem
fremden Wagen durch die Gegend gerast ist. Sonderbar, daß ich ihn ganz aus
meiner Erinnerung gestrichen habe. Ich hasse ihn nicht mal. Er hat mir Herbert
genommen, aber ich hasse ihn nicht. Ich verachte ihn.
    „Bitte?“ sagte sie kalt.
    „Ich... eh... ein Schinkenbrot. Und...
ein Bier.“
    Wenn er damals zu mir gekommen wäre,
dachte sie, und gesagt hätte, daß es ihm leid täte, ob er mir und Bärbelchen
helfen könne — das wenigstens wäre eine menschliche Regung gewesen. Aber
nichts. Und im Gerichtssaal hat er dann den Dummkopf herausgekehrt und um ein
mildes Urteil gebeten.
    Sie drehte sich um, ging auf unsicheren
Beinen zur Theke zurück und gab die Bestellung auf.
    Sie brachte ihm das Bier.
    Er hockte mit hängenden Schultern am
Tisch. Die derben Hände hielten die Kante fest. Sein Gesicht war fahl. Er trug
das Haar noch in dem gleichen Stoppelschnitt wie damals.
    Offenbar nahm er allen Mut zusammen.
    „Wie... eh... geht es Ihnen?“
    „Interessiert Sie das?“
    Er nickte.
    „Aber es geht Sie nichts an.“
    „Ich... ich... wollte das damals nicht.“

    „Aber Sie haben es getan. Natürlich
nicht absichtlich. Aber wer sich sinnlos betrinkt und dann mit einem
gefährlichen Mordwerkzeug, nämlich einem Auto, durch die Gegend rast, der
handelt nicht nur unverantwortlich. Der handelt wie ein Verbrecher! Wie ein
gemeiner

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