Hexenjagd in Lerchenbach
Bein vor das
andere und legte den Kopf schief. Ihr Gesicht war rund und niedlich. Sie hatte
braune Zöpfe und sehr viele Sommersprossen.
„Die Hexe?“ tat Tarzan erstaunt. „Aber
hier gibt es keine Hexe.“
„Ach, bist du dumm!“ meinte sie eifrig.
„Die da“, sie zeigte auf Helga, ohne den Arm wieder sinken zu lassen, „ist eine
richtige Hexe. Weißt du das nicht? Sie sieht zwar nicht so aus wie die Hexe im
Märchenbuch. Aber sie kann die Tiere verhexen — und vielleicht auch die Kinder.“
„So ein Unfug! Das ist überhaupt nicht
wahr! Wer hat dir denn das erzählt? Deine Mutter?“
„Nein, meine Mami nicht. Aber die
anderen Kinder. Der Franzi, die Evi, die Marie und Paulchen auch. Und die
wissen es von ihren Eltern.“
„Dann will ich dir mal was sagen, eh...
wie heißt du?“
„Bärbel Petermann.“
„Die Leute, die so etwas behaupten,
lügen, Bärbel. Entweder weil sie dumm sind und es nicht besser wissen. Oder
weil sie böse sind und diesem sehr netten Fräulein dort schaden wollen. Weißt
du übrigens, daß sie Lehrerin ist? Eine sehr gute Lehrerin. Alle Schüler und
Schülerinnen mögen sie gern. Ich und die beiden anderen dort hinten auch. Glaubst
du, wir hätten eine Hexe gern?“
„Nein, das glaube ich nicht“, sagte
Bärbel.
„Dann richte Franzi, Evi, Marie und
Paulchen aus, daß sie nicht alles glauben sollen, was man ihnen sagt. Lügen
darf man nicht glauben. Zwar kann man eine Lüge nicht immer gleich erkennen.
Aber wenn jemand behauptet, Fräulein Götze — so heißt das Fräulein — wäre eine
Hexe, dann ist das eine offensichtliche Lüge.“
Bärbel kratzte sich am nackten Bein.
Zweifelnd sah sie ihn an.
„Vielleicht lügst du jetzt?“
„Warum sollte ich?“
„Weil es dir Spaß macht.“
„Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß mir
Lügen keinen Spaß machen und daß ich auch jetzt nicht lüge.“
„Sie reitet also nicht bei Mondschein
auf dem Besen durch die Luft?“ fragte Bärbel enttäuscht.
„Wenn sie das könnte, würde sie im
Zirkus auftreten. Komm, wir gehen mal zu ihr, und du sagst ihr guten Tag. Sie
hat frische Erdbeeren.“
„Ach, nein! Lieber nicht!“
„Du wirst doch nicht Angst haben.“ Er
streckte lächelnd die Hand aus. „Ich komme ja mit.“
Bärbel zögerte noch. Sie zupfte an der
grünen Schürze, die zu ihrem Dirndlkleid gehörte, lutschte einen Moment am
linken Zopf und entschied sich dann mitzukommen.
Tarzan warf die Sense ins Gras und nahm
das Mädchen bei der Hand.
Ganz geheuer war ihr nicht. Aber sie
schien Tarzan als ihren Verbündeten zu betrachten. Als sie sich Helga näherten,
blickte sie aus kugelrunden Augen, und ihr Schritt wurde langsamer.
„Fräulein Götze!“ rief Tarzan. „Sie
bekommen Besuch. Das ist Peter Bärbelmann... oh, Verzeihung! Bärbel Petermann,
natürlich! Sie will Ihnen nur mal guten Tag sagen — außerdem ißt sie sehr gern
Walderdbeeren.“
Bärbel kicherte — wegen der Verdrehung
des Namens — , knickste und gab Helga die Hand.
„Dich kenne ich doch“, sagte Helga
freundlich. „Du wohnst am Ortsanfang neben der Schmiede, nicht wahr? Und deine
Mutti arbeitet im Gasthaus.“
„Ja“, nickte Bärbel. „Heute leider
auch. Sonntags immer. Sie ist Serviererin.“
„Und sie soll sehr tüchtig sein, habe
ich gehört. Warte, jetzt hole ich dir die Erdbeeren.“
Sie brachte eine ansehnliche Schüssel.
Die Erdbeeren waren gezuckert und mit Sahne übergossen.
Bärbel dankte artig und ließ es sich
schmecken. Gerade als sie fertig war, tauchte Oskar auf. Sofort sprang die
Kleine auf ihn zu und umarmte den verdutzten Vierbeiner.
„So einen habe ich auch!“ rief sie. „Aber
aus Stoff. Er sitzt auf meinem Bett. Beißt er?“
„Dich bestimmt nicht!“ erwiderte Gaby. „Daß
er dich gern hat, sieht man doch gleich. Sieh mal, er will mit dir spielen.“
Damit waren Bärbel und Oskar dann
während der nächsten halben Stunde beschäftigt. Bis es dem Schlappohr zu
anstrengend wurde, er sich fallen ließ und alle viere von sich streckte.
Helga wußte inzwischen von Tarzan,
welche Neugier Bärbel hergebracht hatte.
„Das kenne ich schon“, sagte sie. „Bärbel
läßt sich jetzt vielleicht eines Besseren belehren. Aber die Mehrzahl der
Dorfkinder ist anders. Die schreien ,Hexe!’ hinter mir her. Eines Tages werden
sie Steine nach mir werfen.“
„Aber Bärbels Mutter scheint den Unfug
nicht zu glauben.“
Helga nickte. „Ich kenne Frau Petermann
nur vom Sehen. Eine nette, aber wohl sehr
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