Hexenkessel
Tweed schien ihre Gedanken zu lesen.
»Das Fehlen von Polizeistreifen ist ein Vorteil«, bemerkte er. »So gibt es keine Zeugen für das, was hier geschehen wird.«
»Wer kann schon lästige Zeugen gebrauchen?« fragte sie mit forcierter Lässigkeit.
Sie befanden sich jetzt auf der Talsohle. Die Straße wand sich, nun wieder zu ebener Erde, um eine Kurve nach der anderen. Marler hatte vor einiger Zeit die Scheinwerfer eingeschaltet, und im Lichtstrahl erkannte Paula kümmerliche Hecken, die die Straße säumten, dahinter lagen kahle Felder. Nichts deutete darauf hin, daß hier Menschen lebten; sogar die isoliert liegenden einzelnen Hütten waren verschwunden. Um sie herum gab es nichts als Wildnis.
»Können sie uns denn nicht anhand der Scheinwerfer schon von weitem kommen sehen?« fragte sie Marler besorgt.
»Wahrscheinlich ja. Aber ich kann es nicht riskieren, diese Straße ohne Licht entlangzufahren. Außerdem halten wir ohnehin nicht an, wenn wir McGee’s Landing erreichen, ich möchte mich nämlich von der anderen Seite her zu Fuß anpirschen. Schon Napoleon wußte, daß der Überraschungseffekt ein wichtiges Element der Kriegführung ist. Und genau den wollen wir ausnutzen.«
Paula schob eine Hand in ihre Umhängetasche und überprüfte das, womit Marler sie versehen hatte. Sie würde in dem Moment, wo das Spektakel begann, eine ganz bestimmte Waffe benötigen. Dann lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und zwang sich, sich ein wenig zu entspannen. Tweed, der ihre innere Unruhe spürte, drückte ihr aufmunternd den Arm.
»Der Bombenanschlag auf uns bei Anton & Michel hat Ihre ganze Einstellung verändert, nicht wahr?« flüsterte sie.
»Ganz recht. Ich habe beschlossen, daß wir zum Angriff übergehen, statt uns wie die Lämmer zur Schlachtbank führen zu lassen. Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Sobald es losgeht, bin ich die Ruhe selbst, das wissen Sie doch.«
Der Mond war noch nicht aufgegangen; ein weiterer Punkt, den Marler in seine Kalkulation mit einbezogen hatte. Paula blickte über den rechts neben ihr sitzenden Tweed hinweg zur Seite und entdeckte tiefe Schluchten zwischen den Hügeln. Der sternenübersäte Himmel erstrahlte in einem so intensiven Dunkelblau, wie sie es noch nie gesehen hatte. Die friedliche Atmosphäre übte eine beruhigende Wirkung auf ihre angespannten Nerven aus.
»McGee’s Landing kommt in Sicht!« rief Alvarez. »Zu unserer Rechten.«
Marler nahm Gas weg und schaltete auf Standlicht um. Ein Stückchen abseits der Straße befand sich eine Ansammlung einstöckiger Holzhütten, von denen sich jeweils eine an die andere anschloß. In allen Fenstern brannte Licht, dennoch war keine Menschenseele zu sehen.
»Hier sehen Sie die Kaschemmen, in denen die Leute ihre Saufgelage abhalten«, erklärte Alvarez. »Allerdings stellen die Rednecks auch selbstgebrannten Schnaps her, ein Teufelszeug, das sie außer Rand und Band geraten läßt. Wenn sie genug davon intus haben, dann drehen sie völlig durch …«
Marler fuhr - immer noch mit mäßiger Geschwindigkeit - um die nächste Kurve, wobei er sich aufmerksam in seinem Sitz vorbeugte. Dann schaltete er plötzlich für ein paar Sekunden das Fernlicht ein. Im hellen Schein konnte Paula ein Hinweisschild erkennen. STEINSCHLAGGEFAHR AUF DEN NÄCHSTEN SECHS MEILEN. Marler blendete rasch wieder ab.
»Die Landschaft verändert sich«, merkte Tweed an.
Der Mercedes schlich nun nur noch durch das Gelände. Paula schaute nach rechts auf die in der Ferne liegenden schwarzen Berge, auf deren Gipfeln etwas glänzte, was sie für Schnee hielt. Zur Linken ragten Sandsteinklippen fast senkrecht in die Höhe. Die ganze Gegend machte einen öden, unwirtlichen Eindruck.
Wieder betätigte Marler unvermittelt das Fernlicht. Zu beiden Seiten von ihnen erhoben sich gespenstisch wirkende abgestorbene Bäume. Moos hing gleich tückischen Fangarmen von den blattlosen toten Zweigen herab. Sowohl Tweed als auch Marler beugten sich vor. Im Scheinwerferlicht sahen sie eine riesige gelbe Maschine, die die Straße blockierte. Paula starrte das Ungetüm fassungslos an.
Die Maschine tuckerte weiter vor sich hin, und Marler stellte den Motor des Mercedes ab. Ein großer Mann mit schwarzem Haar, der ein blaukariertes Flannellhemd, Jeans und schwere Stiefel trug, stopfte Zweige und Geäst in den Schlund des gelben Ungetüms. Paula sog scharf den Atem ein und meldete sich eine Sekunde vor Alvarez zu Wort.
»Der Mann dort ist Joel Brand.«
»Und das Ding da
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