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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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von ihm wusste.
    »Bringe ihn doch mal mit! Ich würde ihn gern kennenlernen«, meinte Sarah, aber Elsa wusste, dass das unmöglich war. Einen Mann wie Antonio konnte man nicht zum Pranzo oder Cena mit nach Hause bringen und seinen Eltern vorstellen.

     
    Sarah machte sich Sorgen um Elsa. Die Heimlichtuerei um ihren Freund, den Sarah noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, von dem sie nur den Vornamen wusste und den Elsa höchstens zweimal in der Woche, dienstags und freitags, traf, machte sie misstrauisch. Sie hatte nicht das Gefühl, dass Elsa – wie jedes andere junge Mädchen – eine gewöhnliche Jugendliebe durchlebte. Wenn Elsa dienstags das Haus verließ, dann immer um fünf Uhr nachmittags, und spätestens um Mitternacht war sie wieder zu Hause. Sie blieb nie über Nacht. Wenn der Dienstag- oder Freitagtermin ausfiel, saß sie stumm in ihrem Zimmer, schloss sich ein und nahm nicht am Abendessen teil. Sie fixierte nicht mehr das Telefon, denn der mysteriöse Freund rief ohnehin nie an. Sarah hätte zu gern wenigstens einmal seine Stimme gehört.
    Sarah spürte, dass sich Elsa langsam veränderte. Sie nahm nicht mehr am normalen Leben teil, sie interessierte sich nur noch für diesen Mann. Mittwochs und samstags war sie glücklich, in Erinnerung an den vergangenen Abend, einen Tag später wartete sie nur noch. Ihren Augen sah man an, wie sehr sie sich nach ihm verzehrte.

49
    Es war heiß und trocken. Seit Wochen brannten Wälder. Wer es vermeiden konnte, hinauszugehen, blieb im kühlen Zimmer. Ventilatoren waren in allen Kaufhäusern ausverkauft, die Pools der einzelnen Häuser waren mit dreißig Grad Wassertemperatur schon lange keine Erfrischung mehr.
    Elsa lag in ihrem Zimmer und las. In vier Wochen würde sie mit ihrem Studium in Siena beginnen, und Sarah wusste, dass sie dann keinerlei Kontrolle mehr darüber hatte, wann, wie oft, wie lange und mit wem sie sich traf.
    Romano schlief. In anderthalb Stunden würde er aufstehen und mit den Vorbereitungen für das Abendessen in der Trattoria beginnen.
    In Haus und Garten war es still. Nur die Grillen zirpten, Edi lag in seinem Verschlag und kraulte sein Kaninchen. Sarah ging auf der schattigen Terrasse hin und her, zupfte die vertrockneten Blüten aus den Geranien und dachte an ihre Tochter, mit der sie seit Wochen nicht mehr vernünftig geredet hatte. Seit sie diesen Mann kannte.
    Eigentlich war die Situation günstig. Sarah atmete tief durch, zog ihre Sandalen an und ging in die Küche, deren Tür immer offen stand. Nur ein Perlenvorhang verhinderte, dass Fliegen sich auf die Lebensmittel setzten. Sie nahm ihre
Handtasche, die immer auf dem Küchenschrank neben dem Brotkorb stand, überprüfte den Inhalt ihres Portemonnaies und verließ das Haus.
    Als sie die kurvige Straße den Berg hinunter Richtung Siena fuhr, wusste sie, dass das, was sie tun wollte, richtig war.
     
    Siena war in der trockenen Hitze wie gelähmt. In den Straßen war kaum Betrieb, die Sienesen erledigten bei diesen Temperaturen nur das Allernötigste. Die großen Steinquader des Straßenpflasters wirkten wie eine Fußbodenheizung zusätzlich zur unermüdlich brennenden Sonne. Sarah hatte das Gefühl, heißen Staub einzuatmen, während sie durch die Gassen Sienas ging, in denen kein einziger Baum Feuchtigkeit spendete.
    In der Via di Città fand sie das kleine, exquisite Schreibutensiliengeschäft auf Anhieb.
    Sie ging hinein. Angenehme Kühle empfing sie, und sie war von dem geschmackvollen Ambiente des kleinen Ladens regelrecht überrascht. Während sie hinter einem Regal stand und sich unterschiedliche Füllfederhalter ansah, beobachtete sie den jungen, eleganten Mann hinter dem Verkaufstresen und war sich augenblicklich und absolut sicher, dass dies der Mann war, den ihre Tochter liebte.
    Sie betrachtete ihn lange. Dann ging sie zu ihm an den Tresen. Er lächelte sie freundlich an.
    »Haben Sie etwas gefunden?«, fragte er.
    »Nein«, erwiderte sie, »aber ich habe – ehrlich gesagt – auch nicht wirklich gesucht. Ich heiße Sarah. Sarah Simonetti. Ich bin Elsas Mutter.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als verlöre er die Fassung, aber dann setzte er sein charmantestes
Lächeln auf. »Elisabettas Mutter … Wie schön, Sie endlich einmal kennenzulernen«, meinte er. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
    Sarah registrierte sehr wohl den Namen »Elisabetta« und fand diese kleine Veränderung äußerst sympathisch.
    In diesem Moment betraten zwei Kundinnen den

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