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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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schlafen, lauschte dem gleichmäßigen Atem Antonios und beobachtete einen Bäcker auf der Straße, der die ersten fertigen Brote des Tages in seinem Lieferwagen verstaute. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich ganz frei, ganz glücklich, erwachsen und vollkommen zufrieden. Das Leben war aufregend, und für Elsa begann es in dieser Nacht.

48
    Anstelle eines Frühstücks tranken sie den letzten Rest Champagner. Elsa suchte verzweifelt ihr Handy, durchwühlte ihre Kleidung, ihre Tasche – ohne Erfolg. Wahrscheinlich hatte sie es auf dem Campo verloren, oder irgendjemand hatte es ihr aus der Tasche gezogen. Jedenfalls war es auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und Elsa gab Antonio ihre Telefonnummer in Montefiera.
    Aber er rief nicht an. Sie saß herum und wagte sich nicht mehr aus dem Haus. Wenn Romano oder Sarah ein längeres Telefonat führten, wurde sie fuchsteufelswild.
    »Was ist los mit dir?«, fragte Sarah. »Auf welchen Anruf wartest du denn, verdammt noch mal? Kannst du uns vielleicht gütigerweise erklären, warum du hier die ganze Welt verrückt machst?«
    »Nein, das kann ich nicht.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil ich es nicht will!«
    Sarah lächelte amüsiert. »Ach, Gott, meine kleine Elsa ist verliebt. Warum erzählst du mir nicht, wer der Glückliche ist? Wenn man darüber redet, ist es doppelt so schön. Und wenn man Liebeskummer hat, ist es nur halb so schlimm.«
    »Spar dir deine Sprüche und lass mich in Ruhe!«, brüllte Elsa und ging türenschlagend aus dem Zimmer.

    »Das ist ja unerträglich«, meinte Sarah zu Romano. »Hoffentlich ruft dieser Kerl bald an, damit sie wieder normal wird.«
    Drei Tage waren vergangen, Elsa hatte immer noch nichts von Antonio gehört.
    Sie hatte keine Zeit für Edi, sondern saß in ihrem Zimmer und schrieb sich ihre Sehnsüchte, Hoffnungen und ihre romantische unerwiderte Liebe in ihrem Tagebuch von der Seele.
    Als sie in die Küche ging, um sich ein Glas Saft zu holen, sah sie Edi, der im Wohnzimmer saß und mit dem Telefon spielte. Er war gerade dabei, den Hörer auseinanderzunehmen. Wie eine Furie stürzte sich Elsa auf ihn und gab ihm einen Stoß, dass er vom Stuhl fiel. Sie riss ihm das Telefon aus der Hand und versuchte mit fliegenden Fingern, den Hörer wieder zusammenzuschrauben.
    »Spinnst du?«, fauchte sie. »Das Telefon ist nicht zum Spielen da, du Vollidiot! Das ist lebenswichtig! Lebensnotwendig!«
    Edi starrte sie entgeistert an. Er verstand überhaupt nicht, warum seine Schwester sich so aufregte.
    »Na los, hau ab!«, schnauzte sie weiter. »Geh! Verpiss dich! Verschwinde in dein Zimmer und mach irgendwas Blödsinniges. Zähl die Muster in deinem Teppich oder lern deine Bilderbücher auswendig oder male kleine Karos. Mal sehn, wie viele du bis heute Abend schaffst. Es ist mir alles egal, Hauptsache, du bist hier weg!«
    Edi massierte sich die Glatze wie ein Affe, der sich den Kopf kratzt, und wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste auch nicht, was er falsch gemacht hatte, er spürte nur eine übermächtige Verzweiflung in sich aufsteigen, die ihn im
wahrsten Sinne des Wortes umhaute. Er warf sich auf den Boden, trommelte auf die Erde und heulte zum Gotterbarmen.
    Normalerweise nahm Elsa Edi in solchen Momenten in den Arm und tröstete ihn, bis er sich wieder beruhigt hatte, aber heute hatte sie nicht die Kraft dazu. Sie war selbst verzweifelt.
    »Dieses Irrenhaus hängt mir so zum Hals raus«, murmelte sie, als sie aus dem Zimmer ging und Edi allein weitertoben und -heulen ließ.
    Sie setzte sich in ihren kleinen Fiat und fuhr direkt nach Siena. Immer wieder ließ sie die Nacht mit Antonio Revue passieren, erinnerte sich an jedes Detail in seiner Wohnung, an jeden der wenigen Sätze, die er gesprochen hatte. Aber sie kam zu keinem Ergebnis. Sie wusste einfach nichts über diesen Mann. Sie kannte weder seinen Nachnamen noch seine Telefonnummer, sie wusste nicht, wo und was er arbeitete, sie ging davon aus, dass er allein lebte, aber sicher war sie sich nicht. Schließlich hatte sie außer dem Wohn-und Schlafzimmer den Rest der Wohnung nicht gesehen. Die Päpste im Flur hatten sie derart beeindruckt, dass sie auf die Anzahl der Türen, die vom Flur abgingen, gar nicht geachtet hatte.
    Antonio wohnte in der Via dei Pellegrini in unmittelbarer Nähe des Doms. Als Elsa begann, vor seinem Haus auf und ab zu gehen, war es kurz nach sieben. Die meisten Geschäfte schlossen um diese Zeit, nur einige wenige hatten bis zwanzig Uhr oder länger

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