Hexenkind
geöffnet.
Was mache ich, wenn er zu Hause ist und heute gar nicht mehr seine Wohnung verläßt, überlegte Elsa, ich kann doch hier nicht die ganze Nacht stehen? Dann muss ich morgen
wiederkommen. Aber wann? Wann wäre die günstigste Zeit?
Elsa fand ihre Situation äußerst unangenehm, was noch dadurch verstärkt wurde, dass sie Hunger hatte. Seit Tagen hatte sie kaum etwas gegessen, jetzt rebellierte ihr Magen derart, dass ihr leicht schwindlig wurde. Sie beschloss, sich in der nächsten Bar ein Panino zu besorgen, damit sie die Warterei überhaupt durchhielt.
In diesem Moment kam er um die Ecke und direkt auf sie zu.
»Ciao, Antonio«, sagte sie.
»Ciao.« Er wirkte überrascht, überrumpelt und stand vor ihr, als habe er beinah ein schlechtes Gewissen.
»Du hast nicht angerufen.«
Er schüttelte bestätigend den Kopf. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Komm«, sagte er, »komm. Hier ist zu viel Betrieb.«
Sie gingen wieder die Treppen zu seiner Wohnung hinauf wie schon ein paar Tage zuvor. Elsas fühlte so etwas wie Triumph. Sie hatte ihn getroffen, er war bereit, mit ihr zu reden, und sie war auf dem Weg zu seiner Wohnung. Das war mehr als sie erwartet hatte.
Diesmal ging Antonio nicht als Erstes in sein Wohn-Schlafzimmer, sondern in die Küche. Elsa folgte, leise »permesso« murmelnd und sah sich um. Die Küche hatte nicht wie das Wohnzimmer den Charme eines venezianischen Palastes, sondern erinnerte eher an die Teeküche in einer Schwesternschule. Neonröhren beleuchteten die klinisch saubere Arbeitsplatte, auf der nichts herumstand, eine kugelförmige Lampe hing über dem leeren, tadellos sauberen Tisch. Sie hätte besser den Saal in der Anatomie beleuchten
können, ihr kaltes Licht war in einer Privatwohnung völlig unpassend. Nirgends standen Gewürze oder Kochlöffel herum, es hingen keine Knoblauchzöpfe an der Wand und keine Bratpfannen über dem Herd. Die Küche war klinisch einwandfrei, als hätte sie nach dem Einbau noch niemand benutzt.
Nichtsdestotrotz brachte es Antonio fertig, in diesem klinischen Ambiente zwei Espressi zu kochen, und bot Elsa dazu sogar noch aufgeschäumte Milch an, die sie jedoch dankend ablehnte.
»Zucker?«, fragte er.
»Ja. Danke.« Sie kam sich vor wie eine Fremde, die sich in der Tür geirrt hatte.
»Du täuschst dich in mir«, sagte Antonio, während er Elsa den Espresso zuschob. »Ich bin nicht der, für den du mich hältst.«
»Wie kann ich dich für jemanden halten, wenn ich dich überhaupt nicht kenne? Ich weiß ja gar nichts über dich«, meinte Elsa beinah spöttisch. Sie hatte das Gefühl, Antonio wolle sich nur wichtig machen. »Was glaubst du denn, für wen ich dich halte?«
»Ich bin ein Eigenbrötler, ich bin egoistisch und arrogant, eigentlich interessieren mich andere Menschen überhaupt nicht, und verliebt bin ich in dich in keiner Weise. Warum sollte ich Interesse haben, dich wiederzusehen?«
»Nach dem Konzert erschienst du mir ganz anders …«
»Ich lebe stets aus einer Laune heraus. Da tue ich manchmal Dinge, die ich zehn Minuten später schon nicht mehr tun würde. Ich will dir nicht wehtun, aber ich will dir auch keine Hoffnungen machen. Ich bin beziehungsunfähig.
Und darum vergeude deine Zeit nicht mit mir. Suche dir einen jungen Mann, der weniger kompliziert ist als ich.«
Für Elsa war das, was er sagte, fast tröstlich. Es hatte also nichts mit ihr zu tun, sondern nur mit ihm allein, er war hoffnungslos verstrickt in seine eigenen Probleme.
Der Espresso war längst ausgetrunken, Antonio ging ins Wohnzimmer, und sie folgte ihm. Er öffnete eine Flasche Wein. »Ich bin in dich verliebt«, meinte sie leise und war sich bewusst, dass sie so einen Satz zum ersten Mal in ihrem Leben aussprach. »Und ich will gar keine Beziehung. Im September fange ich hier in Siena an Mathematik zu studieren. Ich will dich nur ab und zu sehen, das ist alles.«
Auf Knopfdruck schlossen sich die Brokatvorhänge.
»Versuche nie, mehr über mich herauszufinden, als ich dir erzähle, das würde ich dir nicht verzeihen«, sagte er abschließend. Dann nahm er sie auf den Arm und trug sie zum Bett.
Sie sahen sich sporadisch, nicht oft, aber Elsa tanzte dennoch wie auf einer Wolke durchs Leben. Wie verliebt sie war, war für niemanden zu übersehen, am wenigsten für Sarah.
»Was tut er, dein Freund?«, fragte sie Elsa. »Studiert er auch?«
»Nein. Er hat einen kleinen Schreibwarenladen in der Via di Città.« Elsa war stolz, dass sie wenigstens das
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