Hexenkind
Minuten nach der vereinbarten Zeit betrat er die Bar.
Es war erst gut eine Stunde her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber sie hatte ihn bereits nicht mehr richtig in Erinnerung. So sah er also aus. So groß, so schlank, so schön. Mit leicht gewelltem dunklen Haar, das mit Gel gebändigt und streng zurückgekämmt war. Mit diesen stahlblauen Augen, die sie sogar im schummrigen Licht der Bar erkennen konnte.
Und noch bevor er – lächelnd – ihren Tisch erreicht hatte, entschied sie, dass er das nächste und vielleicht größte Ziel in ihrem Leben sein würde. Niemand würde sie davon abhalten. Romano nicht und ihre Tochter Elsa schon gar nicht.
Sie redeten nicht viel. Tranken zwei Prosecchi und gingen dann in der Via delle Lombarde essen. In einem kleinen Lokal, das sich auf mittelalterliche Gerichte spezialisiert hatte. Während sie Minestrone aus Tellern aßen, die aus Brot gebacken waren, sahen sie sich einfach nur an. Unverwandt. Und keiner von beiden fühlte sich unwohl dabei.
»Was weißt du von mir?«, fragte Antonio beim Pastagang. Sarah hatte ihn beim Abendessen vom ersten Moment an geduzt, und Antonio war gern darauf eingestiegen.
»Dass du ein Schreibwarengeschäft hast und man bei dir die edelsten und schönsten Füllfederhalter Sienas kaufen kann. Mehr nicht. Seit Elisabetta dich kennt, redet sie überhaupt nicht mehr. Nur noch das Allernötigste. ›Buongiorno‹ und ›wartet nicht auf mich‹, ›ich muss noch mal los‹, ›nein ich habe keinen Hunger‹, ›bitte, weck mich nicht, ich möchte ausschlafen‹ … so in der Art.« Sarah wunderte
sich, wie problemlos ihr der Name Elisabetta über die Lippen ging.
Antonio lächelte. »Ich kenne sie nicht gut, doch das kann ich mir vorstellen. Aber beantworte mir bitte nur die eine Frage: Warum bist du gekommen?«
»Ich wollte sehen, wie der Mann aussieht, in den meine Tochter verliebt ist und den sie vor mir geheim hält.«
Antonio nickte. »Ist das alles? War das der einzige Grund?«
»Ja.«
Antonio schwieg und sah ihr in die Augen. Dabei spürte sie, dass sein Knie das ihre berührte. Aber sie zog es nicht weg, sondern signalisierte ihm mit ihrem Blick, dass sie sehr wohl spürte, was er tat.
»Liebst du meine Tochter?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er ehrlich. Unmerklich schob er seinen Unterkörper dem ihren entgegen. Sein rechtes Knie rutschte zwischen ihre Beine. »Aber sie liebt mich.«
»Ich weiß.« Sie übte sanften Druck auf sein Bein aus.
»Warum schläfst du dann mit ihr?«
Jetzt rückte er ein paar Zentimeter zurück. Sein Fuß schlüpfte aus dem Schuh und fand den Weg bis zu ihrem Schritt. Ihre Beine öffneten sich leicht. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat es mir geschmeichelt, dass sie so sehr in mich verliebt war.«
Sie schloss die Augen, damit er nicht sah, dass ihre Augen vor Lust zu kreisen begannen. Die ganze Welt schien sich zu drehen.
»Also aus Mitleid? Oder aus Eitelkeit?«
»Aus beidem vielleicht. Frag mich nicht. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht.«
Der Kellner kam an den Tisch. Offensichtlich hatte er beobachtet, dass sie nicht mehr aßen. Er fragte: »Posso?« Antonio nickte, und der Kellner ging mit den noch halb vollen Tellern davon.
»Bestell den zweiten Gang ab und lass uns gehen«, sagte sie, und es klang wie ein Keuchen.
Antonio winkte dem Kellner, der sofort kam. Kurz überlegte Sarah, ob er bemerkt hatte, was gerade unter dem Tisch geschah, aber dann verwarf sie den Gedanken wieder, es war ihr egal. Sie konzentrierte sich auf den Fuß, der mit ihr spielte, und stellte sich vor, was an diesem Abend noch alles geschehen würde.
»Il conto, per favore«, sagte Antonio zum wartenden Kellner. »Tutto era buonissimo, ma basta.«
Der Kellner nickte und entfernte sich wieder. Er stellte keine weiteren Fragen, wahrscheinlich hatte er begriffen, was den beiden jetzt wichtiger war.
»Hör auf damit«, sagte sie leise und atmete schwer.
Antonio zuckte zusammen. »Womit?«
»Hör auf mit ihr zu schlafen«, sagte Sarah.
»Ja.« Antonio sah sie an und nahm ihre Hände in seine. Sie war so erregt, dass sie Mühe hatte, ihre Augen offen zu halten.
»Lass uns gehen«, sagte sie. »So schnell wie möglich. Ich halte es nicht mehr aus.«
Antonio legte ein paar Scheine auf den Tisch, nahm ihre Hand und verließ mit ihr das kleine Restaurant.
Sie kamen nur wenige Meter weit. In einem Hauseingang befriedigte er sie. Am liebsten hätte er sie auf den Armen in seine Wohnung getragen,
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