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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Tage.
    Wenig später aßen sie in der Küche. Tim hatte Penne mit Sahnesoße und Champignons zubereitet, dazu tranken sie drei Flaschen Wein und anschließend Grappa.
    »Spielst du Klavier?«, fragte er.
    Tim schüttelte den Kopf. »Außer ›Hänschen klein‹ mit einem Finger bringe ich nichts zustande.«
    »Und wie kommt es dann, dass so ein irrsinniger Flügel in deinem Zimmer steht?«
    »Ich habe vor acht Jahren die Ausstattung für einen italienischen Film gemacht. ›Sonata per mamma‹ hieß er und handelte von einer depressiven Verkäuferin, die in Neapel in einem Supermarkt arbeitet, völlig verzweifelt ist und eines Nachts ihren Mann im Schlaf erschlägt. Nach dem Mord flieht sie zu ihrer Tochter nach Florenz, die Sängerin ist. Die Tochter kündigt alle Engagements und zieht mit
ihrer Mutter in eine kleine Kate am Meer nach Apulien. Das Einzige, was sie mitnimmt, sind ein Koffer und ihr Flügel.«
    »Und dann?«
    »Dann leben die beiden Frauen nur noch in der Musik. Die Tochter spielt für die Mama, die Musik wird zu ihrer Droge. Sie entfernen sich von jeglicher Realität, bauen einen Zaun um ihre Ländereien und töten jeden, der ihr Grundstück betritt. Sie ernähren sich von den Leichen, die so natürlich nie gefunden werden können.«
    »Du lieber Himmel! Und so was drehen die Italiener?«
    »Ja. Der Film war ein ziemlicher Erfolg.«
    »Und wie geht er aus?«
    »Die beiden begehen gemeinsam Selbstmord. Die letzte Sonate, die die Tochter für die Mutter geschrieben hat, trägt ihre Seelen davon.«
    »Irgendwie kitschig.« Er rülpste laut.
    »Aber wunderschön. Es wäre ein Film für dich gewesen. Mit deiner Musik hättest du in die Vollen gehen können.«
    »Ich bin auch in unserem jetzigen Film in die Vollen gegangen.«
    »Ich weiß.«
    Danach sagte minutenlang keiner der beiden etwas, bis er sich wieder an seine Frage erinnerte.
    »Und der Flügel?«
    »Den hab ich nach dem Film der Produktionsfirma für einen Appel und ein Ei abgekauft.«
    »Auch wenn du gar nichts damit anfangen konntest, als dein Abendbrot darauf zu essen.«
    »So ungefähr.« Tim grinste. »So ein Flügel verbreitet Atmosphäre.
Auch wenn man nicht darauf spielt. Und ab und zu kommt vielleicht jemand, so wie du, und entlockt ihm ein paar Töne.«
    Um zwei Uhr morgens war auch der Grappa alle. Tim holte aus einer Truhe im Flur ein Kissen und eine Decke und legte sie ihm auf die Couch. Während er die Küche aufräumte, hörte Tim, dass er sich im Bad übergab.
    Tim klopfte an die Tür. »Amadeus, was ist? Kann ich dir helfen?«
    »Nein, nein, schon gut«, antwortete er, und es hörte sich in Tims Ohren relativ normal an.
    Drei Minuten später kam er in die Küche und trank ein Glas Wasser.
    »Ist dir so schlecht?«
    »Nee, es ist alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen.«
    »War wohl ein bisschen viel, was wir getrunken haben.«
    Er lächelte. »Ich kotze oft. Das ist ganz normal. Dann kann ich besser schlafen. Gute Nacht, Tim. Und danke für alles.«
    »Wann willst du morgen aufstehen?«
    »Gar nicht«, sagte er und ging ins Wohnzimmer, wo er binnen Sekunden fest eingeschlafen war.
     
    Als er am nächsten Tag erwachte, war es zwanzig vor drei. In der Wohnung war es still, auf dem Flügel lag ein Zettel: »Ciao, Amadeus, ich bin auf dem Festival und gucke mir ein paar Filme an. Nimm den Schlüssel mit, ich hab einen. Tim.«
    Er fluchte leise und ging unter die Dusche. Das Bad war sehr spartanisch eingerichtet, es gab in diesem Raum wirklich nur das Allernötigste: Eine Duschwanne mit Dusche
ohne Vorhang oder Kabinenabtrennung, eine Toilette, ein Waschbecken und darüber ein Spiegel mit Ablage, auf der Tims Zahnputzglas und eine Plastikflasche Nivea-Milk standen. Aber das Wasser war warm genug. Er duschte ausgiebig und lange und überlegte dabei, was er mit dem Tag anfangen sollte. Ihm fiel absolut nichts ein. Draußen nieselte es leicht, und so erschien ihm auch ein Stadtbummel wenig erstrebenswert. Vielleicht gab es am Abend auf dem Festival ja doch noch einen einigermaßen erträglichen Film. Heute war Donnerstag. Am Samstag sollte die Preisverleihung sein.
    Unter der Dusche trank er das lauwarme Duschwasser und beschloss, dass dies als Frühstück reichen musste, vielleicht würde er unterwegs noch irgendwo einen Espresso trinken gehen.
    Um achtzehn Uhr gab es den Debütfilm eines erst zwanzigjährigen Sizilianers, »Purezza pazza«, was so viel hieß wie »Rasende Unschuld«. Er erzählte von der verhängnisvollen

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