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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Siena.« Tim grinste und schloss die schwere hölzerne Tür auf, die man schon fast als Tor bezeichnen konnte und die aussah, als sei sie wertvoller als das gesamte Gemäuer.
    Die steinernen Stufen im Treppenhaus zeigten in der Mitte eine leichte Vertiefung von den Abertausenden, die diese Treppe benutzt hatten. Diesen Gedanken fand er rührend und machte ihm das Haus auf Anhieb sympathisch.
    Als Tim seine Wohnungstür im ersten Stock öffnete, schlug ihnen abgestandene, schwere, feuchte Luft entgegen mit einem dumpfen, süßlichen Geruch.
    »Wahrscheinlich sind die Rattenfallen voll«, meinte Tim, »es stinkt nach Verwesung.«

    »Verdammt noch mal, Amadeus, was ist los mit dir?«, fragte Tim, weil sein Freund schwankte und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    Die Fallen, die verendeten Ratten und der Gestank waren ihm egal. »Ich muss mich setzen«, flüsterte er, »mir ist schlecht, Tim. Bitte.«
    Tim erschrak, schob ihn schnell in einen Raum, der offensichtlich sein Wohnzimmer war, und riss die Fenster auf. Tageslicht und Straßengeräusche durchfluteten den Raum, der größer war, als man von außen hatte erahnen können. Er sank in einen Sessel. Das Einzige, was er selbst in diesem Zustand sofort wahrnahm, war der Flügel, der vor dem größten Fenster stand. Ein verdammter Flügel in dieser heruntergekommenen Wohnung. Er war sich nicht sicher, ob er halluzinierte oder ob der Flügel wirklich existierte.
    Tim kam aus der Küche mit einer Flasche Wein und einem Brötchen aus dem Flugzeug wieder, das er nicht gegessen hatte. »Mehr hab ich nicht«, sagte er, »ich muss erst was einkaufen, aber keine Sorge, die Geschäfte haben bis sieben oder acht auf, und dann koch ich uns was Schönes.«
    Tim entkorkte den Wein und nahm aus einem offenen Regal zwei Gläser, aus denen er den Staub pustete.
    »Ich war lange nicht hier. Das ist immer eine Scheiße. Im Grunde müsste man die ganze Wohnung erst mal gründlich sauber machen.«
    Das erste Glas Wein schüttete er in einem Zug hinunter, atmete tief durch und drehte sich mit schnellen, aber fahrigen Bewegungen einen Joint. Er inhalierte tief, schloss die Augen und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. Als er die Augen nach einigen Zügen wieder öffnete und Tim ansah, waren sie glasig, die Pupillen weit. Aber er lächelte.

    »Wie bist du denn drauf?«, meinte Tim. »Das ist ja ganz schön heftig.«
    Und wieder winkte er nur ab, zerdrückte die letzten Tabakkrümel zwischen seinen Fingern und begann, das Brötchen zu essen. Eine Spur von Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.
    Tim stellte Weinflasche und Glas auf den Flügel, dazu eine Schale mit Chips und eine Karaffe mit Leitungswasser, und er zuckte zusammen. Das war eine Todsünde. Er hatte Lust, auf der Stelle seinen Kram zu nehmen und zu verschwinden, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Tim war ein Banause. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, was für einen Schatz, was für einen Wert er hier in dieser lausigen Wohnung stehen hatte.
    Er erinnerte sich an eine Begebenheit im Ritz-Carlton in Berlin, wo er vor Jahren jeden Sonntag zum Brunch Klavier gespielt hatte. Ein Japaner hatte sich zweihundertfünfzig Gramm Kaviar für eintausendachthundert Mark bestellt, drei Bissen davon gegessen, in seine Serviette geschneuzt, sie in den Kaviar gedrückt und den Kellner abräumen lassen.
    Und nun Tim.
    »Benutzt du den Flügel als Esstisch?«
    »Meist ja. Wenn ich hier fernsehe und dabei esse«, gab Tim zu.
    »Das ist zum Kotzen.« Er spürte, wie ihm der Jähzorn hochkam. »So ein Flügel ist phantastisch. Das Beste und Größte, was es gibt! Da kann man doch nicht drauf essen!«
    »Da kann man noch was ganz anderes drauf machen.« Tim lachte. »Nun stell dich nicht so an und zicke hier nicht
rum. Was soll ich uns zum Essen besorgen? Worauf hast du Appetit? Der Abend ist noch lang.«
    Er beruhigte sich. Tim wusste es eben nicht besser. Das war, als würde man ein teures Cabrio jahrelang draußen im Regen stehen lassen.
    Die Aussicht auf ein warmes Abendessen stimmte ihn friedlich. »Pasta«, meinte er und zwang sich zu einem versöhnlichen Lächeln. »Pasta wäre toll.«
    »Okay«. Tim sprang auf. »In zehn Minuten bin ich zurück.«
    Als er die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte, stand er auf, hob den Deckel des Flügels an und spielte ein paar Akkorde. Das Instrument war großartig, aber verstimmt. Er würde auf eigene Kosten den Klavierstimmer holen lassen. Das lohnte sich auf jeden Fall. Auch nur für die paar

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