Hexenkind
hatte Sarah gewartet. Regine brachte Sarah damit regelmäßig auf die Palme.
»Frag ihn selbst«, antwortete sie kühl. »Ruf ihn so gegen vier Uhr früh an, da kommt er vielleicht gerade nach Hause, oder mittags um eins, da frühstückt er meist und ist bis auf den Restalkohol auch noch relativ nüchtern.«
»Wie redest du denn von ihm?«, fragte ihre Mutter pikiert. »Franky ist eben ein Künstler. Es ist nur schade, dass er noch keinen Job gefunden hat, der seiner Begabung entspricht.«
»Warum fragst du nicht mal, wie es mir geht?«
»Aber natürlich frag ich dich, wie es dir geht.«
»Nein, das tust du nicht.«
»Wie geht es dir denn?«
»Schlecht.«
»Ach, Gott, Kind! Wieso das denn?«
»Ich habe Bauchschmerzen, Mama. Ständig Bauchschmerzen. Ist das etwa normal?«
»Nein, das ist nicht normal.« Ihre Mutter war plötzlich gar nicht mehr so aufgekratzt und schrill, sondern ungewohnt ruhig und zurückhaltend. »Warst du beim Arzt?«
»Natürlich war ich beim Arzt!« Sarah ärgerte sich schon wieder über die Frage. »Ich gehe öfter zum Arzt als zum Bäcker.«
»Und? Was sagt er?«
»Ich soll mich schonen. Basta. Und darum liege ich hier rum und werde langsam aber sicher verrückt. Die Wohnung sieht chaotisch aus, ich möchte alles Mögliche tun, aber ich kann nicht, denn ich hab ständig Angst, dass irgendetwas mit dem Baby nicht in Ordnung ist.«
»Hilft Franky dir denn nicht?«
»Kaum. Nur das, was er auch einsieht. Und das ist nicht gerade viel. Wenn er den Flügel abstaubt, hat er das Gefühl, einen Hausputz bewältigt zu haben.«
»Das kann ich mir bei Franky gar nicht vorstellen.«
Sarah legte auf. Sie hatte das Gefühl, von Gott und der Welt verlassen zu sein.
Anderthalb Stunden später zog sie sich ihren dicken Teddymantel an, nahm sogar Handschuhe und Mütze mit und verließ die Wohnung.
Draußen waren mindestens minus fünfzehn Grad, und ein eiskalter böiger Wind pfiff durch die Straßen. Sarah ging nicht ins Restaurant, sie wollte ihn überraschen, wenn er herauskam. Sie stand hinter einer Baumgruppe und konnte den Eingang des Lokals gut beobachten. Es war mittlerweile kurz vor eins, und sie fror entsetzlich. Sie hörte die wehmütigen Klänge des Akkordeons. »Non, je ne regrette rien« von der Piaf, normalerweise sein Schlusslied. Ihr Herz klopfte schneller. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Sie zog den dicken, flauschigen Synthetikmantel enger um sich und vergrub ihre Hände unter den Achseln. Ihr Gesicht war bis zur Nase unter einem breiten Schal verschwunden, den sie mehrmals um Hals und Hinterkopf geschlungen hatte. Komm, hoffte sie inständig, bitte komm schnell, bevor ich mir eine Blasenentzündung hole, es wird
wunderbar, wir haben schon so lange abends nichts mehr zusammen gemacht.
Es dauerte noch fünfundzwanzig Minuten, bis er herauskam. Ziemlich angeheitert, neben ihm eine dunkelhaarige Frau, genauso beschwipst wie er. Auf der Treppe sagte er etwas zu ihr, was Sarah nicht verstand. Dann ging sie direkt auf die beiden zu.
Franky starrte sie an, als käme sie direkt vom Mars, und war schlagartig nüchtern.
»Kennst du die?«, fragte die Dunkelhaarige.
Statt einer Antwort nickte Franky nur.
»Na dann«, meinte sie, »ich muss nach Hause. Hab’s ein bisschen eilig. Schönen Abend noch.« Damit war sie zwischen den parkenden Autos verschwunden.
Sarah hatte sich ihre Überraschung ein bisschen anders vorgestellt, und gegenüber der Dunkelhaarigen, die eine knallenge Jeans, eine knappe Bluse und nur einen locker darübergeworfenen Mantel trug, fühlte sie sich mit ihrem Babybauch und in ihrem dicken Teddymantel plump und unattraktiv, aber sie lächelte tapfer.
»Hei, Franky!«
Franky begrüßte sie nicht, gab ihr keinen Kuss, nahm sie nicht in den Arm, sondern donnerte sofort los. »Was bildest du dir eigentlich ein, hier mitten in der Nacht einfach aufzukreuzen, hä? Ich brauche keinen Bewacher und keinen Kontrolleur, und dein dicker Bauch gibt dir noch lange nicht das Recht, dich hier aufzuführen wie meine Mutter!«
Sarah fiel aus allen Wolken. »Aber, ich -«, versuchte sie zaghaft eine Erklärung, doch Franky fiel ihr sofort ins Wort.
»Das ist scheiß-peinlich, verstehst du das? Was sollen denn die Kollegen denken?« Franky wurde immer lauter,
äffte eine zickige Frauenstimme nach und tanzte auf der Straße herum wie ein Verrückter. »Mutti kommt und holt den kleinen Franky nach Hause, damit er bloß nicht noch ein Bier trinken geht. Komm, es ist
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