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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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lag beruhigend auf ihrem Arm, während er langsam die Kanüle mit dem Narkosemittel in ihre Vene schob.
    »Schneiden Sie ihm nicht die Nase ab«, lallte sie noch und registrierte, dass der Arzt lächelte. Sein Gesicht war ihre letzte Erinnerung, bevor sie in tiefer Dunkelheit versank.
    Als der Arzt das blutige Bündel Mensch aus Sarahs Gebärmutter hob, röchelte es einmal kurz und fing sofort an zu schreien. Hoch, schrill und ungewöhnlich kräftig.
    »Da haben wir aber ein prachtvolles kleines Mädchen«, meinte die Hebamme. Sie zählte Finger und Zehen nach, wog und badete es und steckte es in einen rosafarbenen Strampelanzug mit weißen Schwänen auf dem Bauch.

    Als Sarah aus der Narkose erwachte, waren die Schwäne das Erste, das sie bewusst wahrnahm. Sie nahm ihr Baby in den Arm, küsste die winzige platte Nase und löste damit erneut eine gewaltige Brüllerei aus. Erst jetzt bemerkte sie Franky, der still an einem kleinen Tisch in der Ecke des Zimmers saß, und ihre Eltern, die abwartend und mit feierlichem Gesichtsausdruck in der Tür standen.
    »Wir werden sie Elsa nennen«, sagte Sarah und steckte ihrer Tochter den kleinen Finger in den Mund, die sofort aufhörte zu brüllen und zu saugen anfing. »Oder hast du was dagegen, Franky?«
    Franky ging zu ihr und küsste sie. »Elsa ist ein wundervoller Name«, flüsterte er, und Sarahs Mutter machte ein säuerliches Gesicht, als habe ihre Enkeltochter jetzt einen Makel fürs Leben.

11
    Elsa entwickelte sich prächtig. Sie hatte ständig Appetit, einen unbändigen Bewegungsdrang, brauchte wenig Schlaf und hatte eine unverwüstliche Gesundheit. Selbst als Franky und Sarah gleichzeitig eine schwere Grippe durchmachten, war Elsa die Einzige, die rosig und gesund in ihrem Bett herumstrampelte und unermüdlich vor sich hin krähte.
    Sarah musste jede Nacht mindestens dreimal aufstehen, um die schreiende Elsa zu beruhigen, aber weder Fläschchen, frische Windeln noch stundenlanges Umhergehen oder Lieder singen halfen.
    Taumelnd vor Müdigkeit stand Sarah neben dem kleinen Bett. »Bitte, sei still«, schluchzte sie. »Bitte schlaf endlich!« Aber Elsa schrie.
    Nach zehn Minuten Dauergeschrei stürzte Franky ins Zimmer.
    »Warum gehst du nicht endlich mal mit ihr zum Arzt! Das ist doch nicht normal!«
    »Ich war beim Arzt. Sie ist völlig okay.«
    »Der Arzt ist ein Vollidiot!«
    »Dann geh du doch mal mit ihr zum Arzt!«
    »Irgendwann dreh ich ihr den Hals um. Ich schwör’s dir. Das hält ja kein normaler Mensch aus!«

    Er verschwand laut fluchend wieder im Schlafzimmer, und Sarah ertappte sich dabei, dass sie Lust hatte, in den zahnlosen, sperrangelweit aufstehenden und unentwegt schreienden kleinen Mund den Plüschhasen zu stopfen, der prall und rosa auf Elsas Kopfkissen lag.
    Sie tat es nicht, aber sie fragte sich, wie lange sie dazu noch die Kraft haben würde.
     
    An einem kalten Novemberabend goss es in Strömen. Draußen war es bereits dunkel, Elsa hopste in ihrem Bettchen und brüllte sich die Kehle aus dem Hals. Franky wollte ein Konzert im Radio hören, und das Geschrei machte ihn fuchsteufelswild. Wie ein eingesperrtes Raubtier tigerte er im Zimmer auf und ab, ballte die Fäuste und stand kurz vor der Explosion. Plötzlich riss er die gläserne Schutztür der Stereoanlage so heftig und ruckartig auf, dass sie aus den Angeln rutschte und auf der Erde zerbrach. Dann drehte er das Rad für die Lautstärke bis zum Anschlag. In diesem Moment erfüllte ein unvorstellbares Getöse und Dröhnen die Wohnung, die Boxen vibrierten und schienen auf der Stelle hin und her zu hüpfen. Sarah rechnete jeden Moment damit, dass die Lampe von der Decke fiel. Selbst Elsa kam mit ihrem Geschrei gegen diese unsagbare Lautstärke nicht an.
    »Bist du wahnsinnig?« Sarah versuchte Franky von der Stereoanlage wegzuzerren und die Lautstärke zurückzudrehen, aber Franky griff ihren Arm und schubste sie weg, sodass sie in die Scherben fiel und sich im Fallen die Hand aufschlitzte, mit der sie sich abstützen wollte.
    »Hau ab!«, schrie er so laut er konnte, und seine Stimme überschlug sich fast. »Hau bloß ab!«

    Sarah geriet in Panik. Frankys stechender, irrer Blick machte ihr Angst. Sie drückte sich eine Serviette in die blutende Hand, warf sich einen Mantel über und verließ mit der weinenden Elsa auf dem Arm die Wohnung.
    Im Hausflur stand der Kinderwagen. Elsa hatte nur einen Strampelanzug an, und Sarah hoffte, dass die Bettdecke sie notdürftig vor Kälte, Wind und

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