Hexenkind
klappte er den Deckel des Flügels zu und beschloss, einfach hier zu warten, bis sie kommen würde, um ihre Sachen und ihre geliebte elektrische Schreibmaschine zu holen. Er bereute, die Decken im Schlafzimmer zerschnitten und den Spiegel im Bad wegen nichts und wieder nichts zerschmissen zu haben, und schlief letztendlich ein.
Sie kam drei Tage später um halb sieben. Franky hatte einen Dreitagebart, dunkle Ringe unter den Augen und kein einziges Bier mehr im Kühlschrank. Er hatte so lange gewartet und all das, was er ihr sagen wollte, so oft wiederholt, dass er nichts mehr davon wusste. Sein Gehirn war wie leergefegt, sodass er sich beinah schämte, und als er
sich – seit drei Tagen verschlampt, versoffen und ohne eine einzige anständige Mahlzeit ziemlich schlapp – ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Aktionismus gegenüber sah, verzweifelte er vollständig. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, begutachtete alle Dinge mit kritischem, prüfendem Blick, nahm das eine oder andere Buch aus dem Regal, stopfte das Deckchen, das ihre Oma gestickt hatte, in eine Tasche, ebenso eine Figur aus Alabaster, die eine Nackte darstellte, die gerade zum Baden in einen See steigen will und ihre Haut mit kühlem Wasser benetzt. Eine Figur, die sie vor einigen Monaten auf dem Trödelmarkt in der Straße des 17. Juni gekauft hatten, weil sie sich beide gleichzeitig in sie verliebt hatten.
»Die nicht!«, sagte er laut und deutlich in die Stille. »Alles – aber die nicht.«
»Gut«, sagte sie, und das war das erste Wort, das sie zu ihm sprach. »Gut, ich verzichte.« Er war beinah erleichtert, aber dann sah er ihr eigentümliches Lächeln auf dem Gesicht. Sie ging mit der Figur in der Hand quer durch den Raum zum Balkon, öffnete die Tür, trat hinaus und hielt die Figur über den Abgrund. Ihr Lächeln war jetzt noch stärker.
»Bitte nicht«, bettelte er.
»Für mich nicht und für dich nicht und für niemanden«, sagte sie sanft und feierlich, und ihre Stimme klang, als würde sie die Figur nicht vernichten, sondern segnen wollen. Dann ließ sie die Alabasternackte fallen. Sie war zwar äußerst stabil, aber vier Stockwerken hielt sie nicht stand. Auf dem Bürgersteig war die schöne Nackte nur noch ein Haufen steinerner Bruchstücke.
»Setz dich zu mir«, flehte er fast, als sie wieder zurück ins
Zimmer kam. »Geh nicht, ohne mir zu erklären, was das ganze Affentheater hier soll.«
»Es reicht, Franky«, meinte sie, »es reicht wirklich. Ich glaube, ich muss dir nicht erzählen, was in den letzten Jahren alles passiert ist. Und irgendwann kommt der Tag, wo es vorbei ist. Jetzt ist Schluss. Jetzt gehe ich wirklich.«
Franky sagte nichts. »Wer ist es?«, fragte er tonlos. »Kenne ich ihn?«
»Warum willst du das wissen?«
»Damit ich ihm die Zähne ausschlagen kann.«
»Das ist typisch für dich.«
»Wieso?« Franky sprang auf, lief quer durchs Zimmer und schlug mit der Faust gegen die Wand.
»Wer ist es?«
»Du kennst ihn nicht.«
»Jemand aus der Uni?«
»Nein. Bitte, Franky, hör auf. Frag mir keine Löcher in den Bauch, du wirst es nie erfahren. Ich hab ihn durch Zufall kennengelernt und Ende. Er war vielleicht der letzte Anstoß für mich, die Beziehung zu beenden, aber sicher nicht der Grund.«
»Sondern?« Franky war krebsrot. »Was dann? Meine Haare in der Badewanne? Schnarche ich? Esse ich zu viel? Trinke ich zu viel? Rauche ich zu viel? Arbeite ich zu oft? Hab ich dich nicht genug auf Händen getragen? Habe ich dich betrogen? Belogen? Bin ich nicht unterhaltsam genug? Ein schlechter Liebhaber? Hab ich deinen Geburtstag vergessen? War ich nicht nett zu deiner Mami? Habe ich mich zu wenig um Elsa gekümmert? Na? Was denn nun? Such dir was aus!«
»Lass mich in Frieden, Franky. Bitte. Ich will jetzt nicht
mehr darüber reden. In ein paar Wochen vielleicht, aber jetzt nicht.«
»Ach was!« Jetzt brüllte Franky. »Du nimmst dir das Recht und die Frechheit heraus, mich einfach so zu verlassen, du gehst und lässt mich zurück wie einen dummen Hund, aber sagst mir noch nicht mal, wer der Kerl ist, der dich neuerdings vögelt?«
»Lass es gut sein, Franky.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Hilfst du mir, die Sachen runterzutragen?«
Franky reagierte nicht. Demonstrativ verschränkte er die Arme, presste die Lippen aufeinander und atmete flach.
»Na gut«, seufzte Sarah und trug zuerst zwei Kisten nach unten. Als sie wieder nach oben kam, um die Schreibmaschine zu holen, saß Franky nicht mehr im Wohnzimmer.
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