Hexenkind
Sarah scherte sich nicht darum, sie vermutete ihn im Badezimmer. Aber als sie die Wohnung verlassen wollte, stand er plötzlich hinter ihr.
»Geh nicht!«, flehte er. »Bitte verlass mich nicht. Bitte Sarah. Wir können alles ändern, was dir nicht gefällt, ich werde aufhören zu trinken, ich werde nichts mehr rauchen, ich werde mich intensiv um Elsa kümmern, ich mache alles, was du willst – aber bleib bitte bei mir.« Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen und rührte Sarah zutiefst, aber es war so schwer gewesen, endlich diesen Schlussstrich zu ziehen, dass sie ihre Entscheidung jetzt auf keinen Fall mehr rückgängig machen wollte.
»Alles Gute«, flüsterte sie. »Pass auf dich auf. Wir können ja hin und wieder mal telefonieren. Wenn ich eine Wohnung gefunden und ein Telefon hab, melde ich mich bei dir.«
Dann ging sie.
Franky stand unbeweglich in der Tür. Erst als Sarah das Haus verlassen hatte, trat er sie zu und schlug seinen Kopf ein paar Mal gegen die Wand, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
15
Romano besorgte Sarah eine Wohnung in der Prager Straße. Sie lag in einem gut erhaltenen Altbau im zweiten Stock, Hinterhaus rechts, hatte vormittags Sonne, zweieinhalb geräumige Zimmer, eine kleine Küche am Hinterausgang und eine schmale Dienstbotenkammer direkt neben dem engen Bad. Sein Kollege Mauro hatte dort gewohnt. Vor zwei Monaten war er zurück nach Sizilien gegangen, nachdem er fünf Jahre in Deutschland gearbeitet hatte.
Mauro hatte die Sehnsucht nach seiner Frau und seinen Kindern nicht mehr ertragen, er wollte unbedingt wieder in Sizilien leben und träumte davon, endlich wieder die Sonne im Meer versinken und nicht hinter Mietshäusern verschwinden zu sehen.
In der Wohnung fand Sarah noch eine halbvolle Flasche Olivenöl, zwei Flaschen Chianti, die bereits zu Essig geworden waren, und vier Gläser selbst eingekochte Tomatensoße, die Mauro aus welchen Gründen auch immer zurückgelassen, wahrscheinlich aber einfach vergessen hatte.
Romano nahm sich eine Woche Urlaub, strich die Wohnung ockergelb, weil Sarah es sich wünschte, brachte Lampen und Regale an und stellte im Schlafzimmer ein Himmelbett und im Nebenraum ein Hochbett für Elsa auf.
Sarah war im siebten Himmel. All ihre Probleme schienen sich in kürzester Zeit in Luft aufzulösen.
Zum Einzug schenkte Romano ihr ein Olivenbäumchen, das sie vor das große Erkerfenster im Wohnzimmer stellte, und insgeheim betete sie, dass die Morgensonne reichen möge, das Bäumchen im kalten deutschen Winter und in einer beheizten Wohnung mit extrem trockener Luft überleben zu lassen.
Sarah versprach Romano, bei nächster Gelegenheit mit ihm nach Italien zu fahren, um seine Heimat kennenzulernen. Und in seinem nächsten Brief schrieb Romano nach Hause: »Mama, du wirst es kaum glauben, aber ich habe eine Frau. Sie ist so schön wie ein Engel und so herzensgut wie eine Madonna. Du wirst sie lieben, ganz genauso wie ich.«
Romanos Mutter Teresa ging in ihren Antwortbriefen nie darauf ein, sie schwieg, als habe sie die beiden Sätze überlesen, und Romano war verletzt. Er sprach in seinen Briefen nie wieder von Sarah, sondern vertraute darauf, dass seine Mutter Sarah bei ihrem ersten Zusammentreffen auf Anhieb in ihr Herz schließen würde.
Elsa besuchte tagsüber den Kindergarten, während Sarah in die Uni ging. Jeden Morgen, wenn Sarah Elsa bei der Kindergärtnerin Kirsten abgab, stöhnte diese auf, als hätte sie die ganze Nacht gehofft, Elsa würde endlich Windpocken, Masern oder Mumps bekommen und mehrere Wochen nicht im Kindergarten erscheinen. Aber Elsa tat Kirsten den Gefallen nicht. Wenn der Kindergarten halb leer war, weil fast sämtliche Kinder erkältet, vergrippt oder von einer ansteckenden Krankheit befallen waren, saß sie rotwangig und vergnügt an ihrem Tischchen, schlug rhythmisch
Bauklötze aneinander, kreischte ab und zu voller Inbrunst oder zog das einzige Feuerwehrauto mit Sirene, das der Kindergarten besaß, stundenlang immer wieder auf, bis Kirsten der Geduldsfaden riss und sie Elsa das Auto wegnahm. Mit dem Erfolg, dass Elsa für den Rest des Tages schrie. Wenn Sarah nachmittags kam, um Elsa abzuholen, würdigte Kirsten die Mutter dieses kleinen Biestes keines Blickes, sondern nickte nur, wenn sich Sarah höflich verabschiedete. Sarah sah ihr an dem bleichen runden Stirnfleck an, dass Kirsten am Rande des Nervenzusammenbruchs stand.
Wenn sie nach Hause kam, setzte sich Sarah
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