Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
überflüssig sie war. Seine Mutter hatte sicher nicht nur Elsa, sondern auch alle Freundinnen und Bekannten angerufen, die ihr einfielen, sodass es zu diesem Zeitpunkt wohl niemanden mehr im Ort oder in der Umgebung gab, der nicht bestens darüber informiert war, was geschehen war.
    Elsa rannte in ihr ehemaliges Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.
    Romano ging in die Küche, um nach Edi zu sehen. Edi hockte seit heute Morgen auf dem Fußboden, um sich herum Berge von Geschirr. Er versuchte, die einzelnen Geschirrteile neu zu ordnen, um sie dann mit diesem veränderten System wieder in den Küchenschrank einzusortieren, was ihm aber nicht gelang, da das von ihm erfundene System viel mehr Platz beanspruchte. So baute er flache Teller, Suppenteller, Frühstücksteller, Dessertteller, Kompottschälchen,
Tee- und schließlich Espressotässchen zu kleinen Türmchen und stellte sie nebeneinander in den Hängeschrank. Wenn nicht mehr als drei Türmchen nebeneinander passten, verzweifelte er, räumte alles wieder aus, wusch und trocknete alles zum x-ten Mal wieder ab und baute neue, aber wieder in irgendeiner Kleinigkeit veränderte Türmchen.
    Teresa saß am Tisch, ließ wie immer den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten und sah ihm dabei zu. »Fein machst du das«, sagte sie gerade in dem Moment, als Romano hereinkam. Sie sah ihren Sohn mit müden Augen an.
    »Was gibt es Neues?«, fragte sie.
    »Nichts.«
    Die Hausdurchsuchung war völlig ergebnislos verlaufen. Die Polizei hatte weder das Messer noch blutbefleckte Kleidung oder Ähnliches gefunden.
    Neri wirkte enttäuscht und verärgert und war mit einem lapidaren: »Wir melden uns, bitte halten Sie sich zur Verfügung!« abgefahren.
    Teresa murmelte das nächste »Gegrüßest seist du Maria«. Edi stapelte hochkonzentriert sein Geschirr und gluckste vergnügt. Er war jetzt siebzehn, wog hundertzwanzig Kilo und hatte Bärenkräfte, die er aber nur schlecht einsetzen oder kontrollieren konnte. Seit ihm nach einer schweren Allergie mit fünf Jahren alle Haare ausgefallen waren, hatte er kein einziges Haar mehr am Körper. Seine wimpernlosen Augen ohne Augenbrauen gaben ihm ein eigentümlich nacktes und verweichlichtes Aussehen. Seine Beine waren dick und x-förmig, sodass er sich nur langsam fortbewegen konnte. Wenn er rannte, schwankte er leicht von einer Seite zur andern, wie ein Schiff, das durch die Wellen stampft.

    Romano fasste ihn an der Schulter. »Ist alles okay mit dir, Edi?«
    Edi nickte, grinste und stapelte seine Teller weiter. Er war so in seine Arbeit versunken, dass er sich nicht dafür interessierte, was Teresa und Romano sagten. Romano goss sich den letzten Rest Espresso in eine kleine Tasse. Der Kaffee war kalt, aber das störte ihn nicht. Dann setzte er sich zu seiner Mutter an den Tisch, die sofort ihre Hand auf seinen Unterarm legte und flüsterte: »Sag mir, wenn ich dir helfen kann, Romano. Ich bin gerne bereit, auszusagen, dass ich nachts zu dir gekommen bin und dich geweckt hab, um dich um Migränetabletten zu bitten. Du kannst dich voll auf mich verlassen. Schließlich bin ich deine Mutter.«
    Romano starrte sie fassungslos an. »Was denkst du denn?«, flüsterte er ebenfalls. »Denkst du, ich habe sie umgebracht? Kannst du dir wirklich allen Ernstes vorstellen, dass ich in der Lage bin, nachts zum Haus zu fahren und ihr die Kehle durchzuschneiden?«
    Teresa zog die Augenbrauen hoch. »Ich stelle mir nichts vor, ich denke und ich glaube nichts. Und vor allem weiß ich überhaupt nichts. Ich wollte dir nur meine Hilfe anbieten, das ist alles.«
    Romano stand auf und verließ wortlos den Raum.
    Im Erdgeschoß fand er Enzo in seinem Fernsehsessel liegend, aus dem er ohne fremde Hilfe nicht herauskam. Er schien mit offenen Augen zu schlafen.
    »Geht’s dir besser, Enzo?«, fragte Romano und nahm Enzos eiskalte Hand in die seine. Enzo entzog sie ihm so abrupt, als habe er ein gefährliches Reptil berührt. Er sah Romano mit angst-, aber auch hasserfülltem Blick an.
    »Verschwinde und geh mir aus den Augen«, zischte er.

18
    Es war Viertel vor eins, als Marcello sein Haus in San Martino betrat. Seine Frau schloss das Versicherungsbüro um zwölf, normalerweise stand kurz vor eins bei Familie Vannozzi das Mittagsessen auf dem Tisch. Vormittags kamen ins Versicherungsbüro meist nur diejenigen, die einen Schaden zu melden hatten, die wirklich lukrativen Abschlüsse wurden Freitagabend oder Samstagvormittag gemacht, wenn die Bauern nicht auf dem

Weitere Kostenlose Bücher