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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Feld arbeiteten, sondern sich um ihre Angelegenheiten kümmerten. Dann fuhren sie mit ihren Frauen zum Supermarkt, um die Wochenendeinkäufe zu tätigen, erledigten dringende Anschaffungen oder Bestellungen, ließen ihre Geräte reparieren, bezahlten oder schlossen Versicherungen ab. Meist dann, wenn gerade etwas passiert war. Marcello war normalerweise nicht abgeneigt, den alten Schaden zu begleichen, wenn im Gegenzug eine neue Versicherung abgeschlossen wurde. Aus diesem Grunde war er freitags und samstags immer, aber an den anderen Tagen nur sporadisch im Büro.
    An diesem Mittag saßen seine Frau Pia und seine beiden Töchter Gina und Maria in der Küche, und es roch nicht nach gebratenem Knoblauch und gedünsteten Zwiebeln, auch nicht nach geschmortem Vitello oder gekochtem
Fisch, es roch lediglich nach Rauch, weil Gina eine Zigarette nach der anderen rauchte und der Aschenbecher fast überquoll. Er stellte seinen Pilzkorb mitten auf den Küchentisch, aber die Steinpilze, die er bei einem Straßenhändler in Levane gekauft und in seinen Pilzkorb gelegt hatte, fanden keine Beachtung. Selbst wenn sie ein Preisschild auf dem Hut gehabt hätten, wäre es seinen Frauen nicht aufgefallen.
    »Hast du es schon gehört?«, raunte Pia.
    »Was?«, fragte Marcello, und sein Herz schlug bis zum Hals, denn er wusste augenblicklich, was seine Frauen so bewegte.
    »Sarah Simonetti ist tot«, sagte Pia. »Irgendein Wahnsinniger hat ihr in ihrem Haus im Wald die Kehle durchgeschnitten. Alessio hat sie gefunden. Was sagst du dazu?«
    Marcello ließ sich auf den Stuhl fallen, der ihm am nächsten stand. »Nein«, hauchte er. »Das ist nicht wahr.« Dass es so schnell ging, dass sie so schnell gefunden würde, hatte er nicht gedacht.
    Gina und Maria waren zwanzig und zweiundzwanzig Jahre alt, zwei wunderschöne junge Frauen, die alle Blicke auf sich zogen, wenn sie die Bar auf der Piazza betraten, sie hatten nur einen Fehler, sie sprachen nicht, sie krähten. Ihre Stimmen waren schrill und scharf wie Reibeisen.
    »Mein ganzes Leben lang war ich ruhig und zufrieden und fühlte mich in diesem Haus äußerst sicher, aber jetzt habe ich Angst«, quietschte Gina. »Ich finde es unerträglich zu wissen, dass hier in unserer Gegend ein Verrückter unterwegs ist.«
    »Er hatte es auf Sarah abgesehen, du bist ihm völlig egal«, warf ihre Mutter Pia ein.

    »Woher weißt du das?«, kreischte Maria.
    »Der Mörder hat sie schließlich nicht zufällig im Wald getroffen, sondern ist in ihr Haus eingedrungen, um sie zu töten. Nur sie allein, Sarah Simonetti. Niemanden sonst.«
    »Wann ist das passiert?«, flüsterte Marcello.
    »Heute Nacht wahrscheinlich, keine Ahnung. Wir wissen es ja auch nur von Giulietta, und die wusste es von ihrer Freundin Teresa aus Montefiera.« Pia stand auf. »Zieh dich um«, sagte sie zu ihrem Mann. »Wir fahren zu Romano, um zu kondolieren.«
    Das halte ich nicht aus, dachte Marcello, das schaffe ich nicht. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, der nun nicht mehr zu korrigieren war. Er hätte gleich zur Polizei gehen sollen, dann wäre er einfach nur derjenige gewesen, der die Leiche gefunden hatte, und nichts wäre passiert. Aber jetzt hatte er ein Geheimnis, das auf ihm lastete wie eine Schuld. Sein schlechtes Gewissen überlagerte jeden seiner Gedanken. Er hatte keine Ruhe mehr, er würde nie wieder Ruhe finden. Denn wenn es herauskommen sollte, dass er vor Alessio im Haus der Signora gewesen war, hatte er ein Problem. Er würde seiner Frau niemals erklären können, warum er ihr nichts gesagt und die Polizei nicht informiert hatte. Er spürte, dass es ein Vertrauensbruch war. Jedenfalls würde sie es so auffassen. Sie würde mehr vermuten, als wirklich gewesen war, und keiner seiner Beteuerungen glauben. Wegen dieser Idiotie gefährdete er seine Ehe. Im Dorf würde man wochenlang über ihn reden und Vermutungen anstellen, auch sein sauberes Image als ehrenwerter Mann hatte er heute Morgen leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Ganz zu schweigen die Probleme mit der Polizei. Sie würden ihn
verdächtigen, weil sein Verhalten einfach nicht zu erklären war. Kein Mensch und schon gar kein Polizist würde verstehen, warum er die Leiche gefunden und geschwiegen hatte. Es gab eigentlich nur eine Erklärung: Er hatte geschwiegen, nicht weil er Sarah gefunden, sondern weil er sie umgebracht hatte.
    Marcello brach der Schweiß aus. Er stand auf, ging zum Küchenschrank und schluckte zwei

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