Hexenkind
sein.
»Sagen Sie, Signor Simonetti, war Ihre Frau in den letzten Tagen irgendwie verändert? Machte sie sich Sorgen? Hatte sie Angst?«
»Nein«, antwortete Romano bestimmt. »Wenn sie Angst gehabt hätte, hätte sie es mir gesagt. Und dann wäre sie sicher nicht ins Haus gefahren, um dort zu übernachten. Dann wäre sie bei mir geblieben, wo ihr nichts passieren kann.«
Ob das stimmt, wird sich noch herausstellen, dachte Neri grimmig, und plötzlich war ihm Romano gar nicht mehr so sympathisch. »Wann haben Sie Ihre Frau denn zum letzten Mal gesehen?«
»Nachmittags um vier. Kurz bevor sie losfuhr und ich anfing, in der Trattoria das Abendessen vorzubereiten.«
»Half Ihre Frau nicht im Restaurant?«
»Doch. Wenn viel zu tun war. Aber jetzt am Ende der Saison war es nicht allzu wichtig, dass sie mitarbeitete. Und dieser Sommer war anstrengend, da habe ich ihr die Zeit im Haus gegönnt.«
»Wie edel.« Neri konnte sich seinen Spott nicht verkneifen.
»Ja.« Romano spürte kleine Schweißtropfen auf seiner
Stirn. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, ich habe sie geliebt. Und einen Vogel, den man liebt, sperrt man nicht ein, sondern lässt ihn fliegen.«
Neri glaubte ihm immer weniger. »Und Ihre Frau?«, fragte er provokant. »Hat Ihre Frau Sie auch so sehr geliebt?«
Romano ballte in seiner Hosentasche die Hand zur Faust. »Sind Sie jetzt fertig?«, fragte er tonlos.
»Gleich«, meinte Neri. »Ich habe nur noch eine Bitte. Ich würde gern die Trattoria, das heißt die Küche sehen.«
Romano zuckte die Achseln und stand auf. »Bitte.«
Eine perfekt aufgeräumte Küche, stellte Neri insgeheim bewundernd fest. Mit einer chromglänzenden, blitzblanken Arbeitsplatte, einem Gasherd, auf dem sich im Lauf der Zeit noch nicht mal ein winziger Fleck um die Flammen herum eingebrannt hatte, eine blendend weiß gescheuerte Spüle, und die sauberen Pfannen, die an der Wand hingen, waren nach Größe sortiert. Die Glastüren des Geschirrschranks blinkten frei von jeglichen Fettspritzern in der Sonne, und ebenso makellos rein waren die glatten Fußbodenfliesen.
Hier kann man wahrhaftig vom Fußboden essen, dachte Neri, dagegen ist Gabriellas Haushalt eine einzige Schlamperei.
Doch Neris Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem großen Messerblock, der links neben der Wurstschneidemaschine stand.
Normalerweise steckten fünfzehn hochwertige, stabile und offensichtlich sehr teure Messer sauber und ordentlich zusammen mit einer Schere im Messerblock.
Heute waren es nur vierzehn. Das größte Messer fehlte, der dafür vorgesehene Schlitz war leer.
Selbst Neri war überrascht. Mit einem solchen Volltreffer hatte er nicht gerechnet.
Romano starrte fassungslos auf den Messerblock.
»Hier fehlt ein Messer«, sagte Neri überflüssigerweise. »Wissen Sie, wo es sein könnte?«
»Nein.« Seine eigene Stimme klang Romano so fremd, als hörte er sie zum ersten Mal. Mechanisch und ohne nachzudenken öffnete er die Spülmaschine. Sie war leer.
»Meine Mutter räumt die Küche abends immer perfekt auf«, murmelte er. »Vielleicht hat sie das Messer mit in ihre Wohnung genommen, um irgendetwas damit zu schneiden.«
»Macht sie das öfter?«
Romano zuckte lediglich mit den hinteren Halsmuskeln.
»Wir werden sie fragen.« In Neris Magen machte sich bereits ein triumphales Gefühl breit.
Romano öffnete sämtliche Schubladen und Schränke und musste nicht lange wühlen, um zu sehen, dass das riesige Schlachtermesser nicht da war.
»Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es wirklich nicht. Es kann doch nicht weg sein?«
»Wer, außer Ihnen, könnte es denn genommen haben?«
»Ich weiß es nicht.« Romano spürte, wie ihm die Panik den Rücken hinaufkroch.
Neri zog sein Handy aus der Tasche. »Ich nehme mal an, Sie haben gegen eine Hausdurchsuchung nichts einzuwenden? Ich sage jetzt den Kollegen Bescheid, und heute Abend wissen wir vielleicht schon mehr.«
Romano schüttelte den Kopf und schlich mit gebeugtem Rücken aus der Küche. Irgendjemand war dabei, einen Stein nach dem andern aus der Pyramide zu ziehen, die einmal sein Leben gewesen war.
17
Am Nachmittag kam Elsa. Sie fiel ihrem Stiefvater schweigend um den Hals, als sie das Haus betrat. Auch Romano sagte kein Wort, hielt sie eine Minute fest umschlungen und strich ihr nur sanft übers Haar.
»Woher weißt du es?«, fragte er schließlich.
»Die Nonna hat mich angerufen.«
Natürlich. In dem Moment, als er die Frage aussprach, wusste er bereits, wie
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