Hexenkind
ist alles.«
»Wie alt ist sie?«
»Einundzwanzig.«
»Hm.« Neri machte sich Notizen.
Romano ärgerte sich, dass er nicht einfach gesagt hatte, Mutter und Tochter verstünden sich glänzend. Es war einfach Dummheit gewesen. Jetzt hatte sich Neri vermutlich festgebissen.
Neri beschloss hingegen, dieses Thema erst einmal ruhen zu lassen. Allerdings spielte ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel, und Romano begriff, dass sich der Kommissar auf Dauer nie mit dieser Antwort zufrieden geben würde.
»Aber Sie haben ein sehr herzliches Verhältnis zu Ihrer Tochter?« fragte Neri betont freundlich.
»Zu meiner Stieftochter. Ja. Ich bin nicht der Vater, aber wir verstehen uns ausgesprochen gut.«
»Wer ist denn ihr leiblicher Vater?«
»Ein Deutscher. Er ist tot.«
»Aha.« Damit war für Neri das Thema erledigt, und er hakte wieder beim gestrigen Abend nach. »Was haben Sie dann gemacht, als Sie gestern Abend nach Hause kamen?«
»Ich hab den Fernseher eingeschaltet, und zwar sehr leise, damit Edi nicht aufwacht. Zum besseren Einschlafen trinke ich immer noch ein, zwei Gläser Rotwein. Ich hab
mir also eine Flasche aufgemacht, und um halb zwei hab ich mit Sarah telefoniert.«
»Woher wussten Sie, dass es halb zwei war? Haben Sie auf die Uhr gesehen?«
»Ja. Ich sah mir einen amerikanischen Thriller an, und es gab gerade eine Werbeunterbrechung, die mich ärgerte. Ich hab auf die Uhr gesehen, wie lange der Film noch dauert.«
»Kommt es oft vor, dass Sie mitten in der Nacht noch mit Ihrer Frau telefonieren?«
»Oft nicht, aber ab und zu.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über nichts Konkretes. Sie hat gesagt, sie wäre morgen Früh wieder zu Hause, um Edi Frühstück zu machen. Dann haben wir nur noch gute Nacht gesagt.«
Neri schrieb Stichworte mit Bleistift auf einen kleinen Block mit Karopapier. Für einen Mann, der vor ein paar Minuten noch die Leiche seiner Frau geküsst hatte, erschien ihm Romano jetzt bemerkenswert ruhig und gefasst.
»Was machte Ihre Frau eigentlich da draußen im Wald? In so einem einsamen Haus ohne Fernseher oder andere Annehmlichkeiten?«
»Sie malte. Bilder für Kinder. Sie illustrierte Kinderbücher und brauchte dafür Platz und einfach ab und zu ihre Ruhe.« Romano sah Neri offen in die Augen, als wäre er stolz darauf, seiner Frau derartige Freiheiten zu gewähren.
»Hatten Sie Probleme damit, wenn Ihre Frau sich zurückzog?«, fragte Neri auch prompt und dachte, dass er sich scheiden lassen würde, wenn seine Frau derartige Ansprüche stellen würde.
»Nein«, erwiderte Romano. »Sie war eine ungewöhnliche Frau, und sie hatte ungewöhnliche Ideen. Wäre sie nicht so außergewöhnlich gewesen, hätte ich sie nicht so geliebt.«
Neri schluckte und glaubte zu erröten. »Verstehe«, murmelte er. »Was haben Sie gemacht, nachdem Sie mit Ihrer Frau telefoniert hatten?«
»Nichts. Ich bin ins Bett gegangen und habe bis zum Morgen durchgeschlafen. Bis mein Stiefvater anfing zu schreien.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Ich glaube nicht«, seufzte Romano. »Wer hat schon jemanden, der einem beim Schlafen zusieht?«
Neri spürte, wie sehr ihn dieses Gespräch ermüdete. Die ganze Situation war ihm noch völlig fremd. Er konnte sich in keine der Personen hineinversetzen, und es fiel ihm schwer, die Gedankengänge nachzuvollziehen. Er hatte plötzlich Hunger und Appetit auf eine vegetarische Lasagne, die seine Frau Gabriella so hervorragend zubereiten konnte. Er hatte Lust, ihr voller Dankbarkeit für das gute Essen mit einem Glas Rotwein zuzuprosten und das Gefühl zu haben, die Welt wäre in Ordnung. Aber nichts war in Ordnung. Gar nichts. Und das deprimierte ihn.
»Gestatten Sie mir eine Frage?«, sagte Romano leise, und Neri nickte überrascht.
»Wer hat sie gefunden?«
»Alessio Casini. Ein Jäger aus Bucine.«
Romano nickte. »Ich kenne ihn. Was wollte er denn am Haus meiner Frau? In einem Radius von hundert Metern um das Haus herum ist Jagen verboten!«
»Die Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Jedenfalls
war er mit seinem Hund unterwegs und jagte Hasen und Fasane. Als er am Haus Ihrer Frau vorbeikam, wunderte er sich über die weit offen stehende Tür. Dann fing der Hund auch wie wild an zu bellen, und er ging hinein, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.«
Was mache ich hier eigentlich?, dachte Donato Neri. Ich gebe bereitwillig Auskunft, wenn ein Verdächtiger mich nach Einzelheiten des Falles befragt. Ich muss nicht ganz bei Trost
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