Hexenkind
verrate ich euch auch gleich noch die zweite Neuigkeit: Wir gehen alle zusammen nach Italien. Schon bald. In wenigen Wochen wahrscheinlich. Wenn es irgendwie geht, schon in diesem Monat.«
Das saß. Einige endlose Sekunden lang sagte niemand etwas.
»Und wovon wollt ihr leben? Von Luft und Liebe?«
»Romano möchte in seinem Heimatort eine Trattoria eröffnen.« Sarah war beinah ein bisschen stolz, als sie diesen Satz sagte, dabei wusste sie selbst noch nicht, wie das Ganze aussehen und funktionieren würde.
»Und was ist mit deinem Studium?« Herbert begann zu schwitzen, und seine Brillengläser beschlugen.
»Das werde ich aufgeben. Ich will Romano in der Trattoria unterstützen.«
Herbert schnappte nach Luft. Das wurde ja immer schöner.
Regine sah aus, als bete sie um besseres Wetter.
»Und wofür haben wir dein Studium finanziert? Dafür, dass du es kurz vor Schluss hinschmeißt und mit nichts dastehst? Hast du den Verstand verloren?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Sarah verstockt.
»Und die Kinder? Wie stellst du dir das vor?«
»Unser Kind wird in Italien zur Welt kommen, und ich denke, auch Elsa wird sich dort schnell zurechtfinden. So clever wie sie ist, lernt sie die Sprache im Handumdrehen.«
Regine fing an zu schluchzen, sprang auf und suchte nach einem Taschentuch. Herbert schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Ich habe mein Lebtag noch keinen größeren Schwachsinn gehört«, brüllte er, und Elsa fing an zu schreien.
»Opa! Rechnen!«, kreischte sie.
»Die Kinder! In Italien! Oh, mein Gott!«, seufzte ihre Mutter, und Sarah wollte gar nicht wissen, was sich da gerade in Regines Kopf abspielte.
»Mama, wir ziehen nicht nach Timbuktu. Italien ist ein zivilisiertes Land, Romano hat dort Eltern und Freunde und Bekannte. Die Kinder werden in einer wunderbaren Familie aufwachsen, auf dem Land, inmitten von Weinbergen und Olivenhainen, in warmem, gesundem Klima …«
»Du hast hier deine Eltern, deine Freunde und deine Bekannten, und du nimmst uns unsere Enkelkinder weg«, resümierte Herbert sachlich.
»Ihr könnt uns jederzeit besuchen.«
»Am Ende der Welt! Da kommt man nicht eben mal so vorbei.« Regine hatte den ersten Schock überwunden und fing an zu kämpfen.
»Wo steht geschrieben, dass man mit seinen Kindern immer in der Nähe von Oma und Opa leben muss?«
»Und was ist mit uns? Wenn wir älter werden? Wenn wir Hilfe brauchen? Papa geht es gar nicht gut mit seinem Herzen!«
Regine versagten die Argumente. Sie sackte in sich zusammen und schüttelte unentwegt den Kopf. Romano saß
aufrecht mit gefalteten Händen in seinem Sessel und wusste nicht, was er sagen sollte. Es ist furchtbar, dachte er, sie werden mich immer hassen.
Herbert hatte Elsa einige komplizierte Rechenaufgaben aufgeschrieben und kam an den Tisch.
»Es tut mir leid«, sagte er, »aber ich halte die ganze Sache für völlig unüberlegt. Es ist ein Schnellschuss auf sehr wackligen Füßen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Tochter in einem kleinen italienischen Dorf glücklich wird, ohne intellektuelle Herausforderung. Und noch weniger kann ich mir vorstellen, dass meine Enkel dort genauso sicher, beschützt, gepflegt und kulturell anspruchsvoll aufwachsen, wie hier in Deutschland.«
Sarah merkte, dass ihr übel wurde.
Ihr Vater fuhr fort: »Ich möchte Ihnen natürlich nicht zu nahetreten, Herr Simoni …«
»Simonetti«, korrigierte Romano vorsichtig.
»Gut. Ja. Wie gesagt, ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, Herr Simonetti, aber weder meine Tochter noch meine Frau oder ich kennen Ihre Familie. Insofern habe ich da natürlich meine Vorbehalte. Für meine Tochter und im Grunde auch für uns ist es ein Sprung ist eiskalte Wasser.«
»Meine Eltern lieben Kinder. Sarah und Elsa sind willkommen. Sehr sogar.« Romano sah ganz traurig aus.
»Das bezweifle ich nicht. Aber dennoch gibt es hier bei uns doch eine andere Fürsorge für Kinder als in Südeuropa. Meines Wissens sind Kinder sich dort wesentlich mehr sich selbst überlassen. Hier wird vierundzwanzig Stunden für ihr leibliches und seelisches Wohl gesorgt – dort müssen sie sich um sich selbst kümmern. Die Bildungschancen sind nicht annähernd so gut wie in Deutschland. Auf dem Land
schon gar nicht. Fünfzig Prozent der Italiener sind Analphabeten, in den Dörfern wütet die Inzucht, geistig Behinderte laufen überall frei herum …«
»Papa!«, empörte sich Sarah. »Was redest du denn da?«
»Ich mache mir Sorgen um
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