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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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meine Tochter und meine Enkel, und du willst in dieses Land gehen, also muss es raus. In Italien regiert die Mafia, Diebstahl ist an der Tagesordnung, und die Kinder leben draußen wie die Straßenköter. Vor Mitternacht geht sowieso keins ins Bett. Was soll ich davon halten?«
    Regine hielt die Luft an, Sarah biss sich vor Wut die Unterlippe kaputt.
    »Die Kinder werden nur notdürftig Italienisch sprechen und noch nicht mal richtig Deutsch lernen, wenn ihr Vater diese Sprache auch nur gebrochen spricht. Das ist asozial. Das ist der Anfang vom Ende. Bei aller Liebe, aber so kann aus ihnen nichts werden. Das ist ein Verbrechen an diesen kleinen unschuldigen Menschen.«
    Sarah sprang auf und stürzte aus dem Zimmer. Im Bad schloss sie sich ein und wusch sich ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Als sie sich danach abtrocknete und ihr blasses, hohlwangiges Gesicht im Spiegel sah, überlegte sie, dass es wahrscheinlich die beste Entscheidung ihres Lebens war, weit wegzuziehen von einem rassistischen Opa und einer Oma, die Füttern mit Liebe verwechselte.
    Als Sarah wieder in den Raum kam, fragte ihre Mutter: »Ist dir schlecht?«
    »Ein bisschen«, meinte Sarah und lächelte. »Aber das ist in den ersten Monaten der Schwangerschaft ja nichts Ungewöhnliches.«
    Herberts Wut war fürs Erste verraucht. Er trug Elsa
durchs Zimmer und flüsterte ihr Rechenaufgaben ins Ohr. Elsa flüsterte das Ergebnis zurück und kicherte jedes Mal, wenn sie richtig gerechnet hatte. Und sie rechnete immer richtig.
    »Ich würde euch raten, erst einmal einen Urlaub in Italien zu machen. Sarah muss das Land, die Leute, die Familie, das Haus …, was weiß ich, sie muss einfach alles kennenlernen, und dann kann sie entscheiden, ob sie wirklich dort leben will oder nicht. Was mich aufregt ist ja nur, dass ihr eine wichtige Entscheidung so Hals über Kopf trefft.«
    »Wir haben uns entschieden, Papa, und ich will, dass es schnell geht.«
    »Dann ist euch wirklich nicht zu helfen.« Mit einem Schwung setzte er Elsa zu Sarah zurück auf die Couch. Und prompt fing sie an zu brüllen. Romano stand auf und nahm sie auf den Arm. Sie trommelte auf Romanos Rücken herum, aber beruhigte sich, weil Romano sie mit italienischen Vokabeln fütterte.
    »Du bist doch meine Liebe«, flüsterte er. »Mia cara.«
    »Mia cara«, wiederholte Elsa.
    »Habt ihr denn genug Geld?«, fragte Regine.
    »Das ist das Problem«, meinte Sarah. »Wir wollten euch fragen, ob ihr uns nicht vielleicht etwas pumpen könnt. Für den Anfang. Wenn die Trattoria gut läuft, zahlen wir alles zurück.«
    »Nein«, sagte Herbert scharf. »Kommt nicht in Frage. Ich schmeiße mein Geld nicht zum Fenster raus. Dass ich ein Studium für nichts und wieder nichts finanziert habe, reicht.«
    »Bitte, Papa«, bettelte Sarah.
    »Nein.«

    Sarah stand auf. »Komm, Romano, wir gehen. Tschüss, Papa. Leb wohl, Mama. Vielleicht hören wir noch mal voneinander, bevor wir fahren.«
    Als die drei vor der Tür ins Auto stiegen, stand ihre Mutter allein an der Gartenpforte und winkte.
    Herbert wünschte ihnen kein Glück und sagte nicht »Adieu«. Er war verstockt im Haus geblieben.
    Regine fing erst an zu weinen, als der Wagen um die nächste Ecke gebogen und verschwunden war.

Toskana, Oktober 2005 – sieben Tage nach Sarahs Tod
    25
    Der Mord an der Signora Simonetti war jetzt eine Woche her, und Commissario Donato Neri hatte in dieser Zeit kaum geschlafen. Dementsprechend reizbar und nervös war er auch.
    Er saß in der Küche und las die Morgenzeitung, seine Frau Gabriella schäumte Milch für ihren Cappuccino auf. Gianni kam herein und ging schnurstracks zum Kühlschrank.
    »Buongiorno, tesoro«, sagte Gabriella zu ihrem sechzehnjährigen Sohn, bekam aber keine Antwort.
    Gianni nahm sich Orangensaft aus dem Kühlschrank, trank direkt aus der Tüte hastig ein paar Schlucke und wollte gerade wieder die Küche verlassen, als Neri die Zeitung sinken ließ.
    »Bist du zum Mittagessen wieder hier?«
    Gianni grunzte nur, was so gut wie alles bedeuten konnte.
    »Redest du nicht mehr mit uns?«
    »Ciao«, meinte Gianni statt einer Antwort, kratzte sich unter den Achseln und verschwand.
    »Ich kann mich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen ganzen Satz gesagt hat«, knurrte Neri. »Auch Begrüßungen oder Verabschiedungen scheinen völlig aus der Mode zu kommen.«

    »Das ist das Alter. Lass ihn einfach in Ruhe.« Gabriella setzte sich mit ihrem Cappuccino zu ihrem Man an den Tisch. »Wie kommst du im

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