Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
ganzes Gebäude für sich mit siebenundvierzig Farbherstellern und elf Farblaboranten. Im gesamten Bellwillwerk sind derzeit zweihundertzweiundzwanzig Menschen beschäftigt, die Tagelöhner nicht mitgezählt."
"Meine Herren, das sind ja doppelt so viele wie in unserer Gießerei! - Aber jetzt zum Thema. Da du wegen deiner Sorgen um den Betrieb deine Malstudien nicht mehr gelingen, solltest du dieses Problem umgehend lösen. Wenn ich in solch eine Klemme gerate, mache ich das ebenso, damit mein Weg wieder frei wird für das Wesentliche. Wann also willst du nach Meran fahren, morgen? Übermorgen?"
"Leonardo, ich muss doch die Farben für den Palast herstellen und dann beim Aufmalen der Ornamente helfen, da kann ich doch nicht . ."
"Musst du nicht", fiel er ihr ins Wort und erklärte ihr, dass sie mit diesen Malarbeiten nicht vor Hornung begännen. Sie könne also schon morgen nach Meran fahren und solange dort bleiben, bis sie alles erledigt habe.
"Leonardo, du bist ein Schatz", jubelte sie, wobei sie hoch sprang und freudig die Arme ausbreitete.
Er hatte sich mit ihr erhoben, widerstand jedoch ihren verlockend ausgebreiteten Armen und ging stattdessen charmant auf ihren Ausruf ein: "Den Schatz habe ich nicht ganz verdient, weil mein Vorschlag eigennützig ist, ich reise nämlich auch bereits dieser Tage ab, und so muss ich dich dann nicht gar so lange vermissen. Lukas, falls du Ende des Julmonds in deinem Werk noch unabkömmlich bist, wirst du mir dann mal einen Gruß schicken?"
"Wenn du willst, auch schon Mitte des Julmonds."
"Abgemacht, Mitte des Julmonds", nagelte er sie fest und wandte sich dann zum Gehen.
Lucia begleitete ihn zur Tür, um ihm wenigstens für einen kurzen Moment etwas näher zu sein.
Ohne diverse Vorkehrungen zu treffen, konnte Lucia die Reise nach Meran nicht antreten. Zunächst kündete sie ihren Eltern schriftlich ihren Besuch an und gab den Brief per Eilkurier auf. Anschließend besorgte sie für ihre Familie sowie für alle Bellwillbewohner Weihnachtsgeschenke, worüber ein voller Tag hinging.
Inzwischen hatte sie auch ihr Kleidungsproblem für die Reise gelöst, zumindest im Kopf - eine bodenlange Schaube, die sie sowohl als Dame, wie auch als Herr tragen könne, und die bei ihrer Ankunft in Meran ihre darunter getragene Jünglingskleidung vollständig verdecken würde. Fertige Kleidung gab es natürlich nicht zu kaufen, es sei denn, in einer Pelzwerkstatt. Nach langem Suchen durch Mailand wurde sie endlich fündig. Ein Kürschner bot ihr eine bodenlange Biberschaube an, herrlich weich und warm - und Mut erfordernd teuer. Dennoch griff sie ohne Zögern zu. Und bereits als sie die Werkstatt verließ, strahlte sie über diesen Erwerb, nicht nur weil er ihre Reise rettete, auch weil es ihr erster großer Kauf für ihre eigene Person war, den sie je getätigt hatte.
Damit hatte Lucia alle Vorbereitungen getroffen, und morgen wird sie aufbrechen.
Noch aber saß sie in ihrem warm beheizten und hübsch mit Herbstzweigen dekorierten Labor. Die Geräte ruhten, Carlo und Nicola waren im Malatelier beschäftigt, und die einzigen Laute, die bisweilen durch die Verbindungstür leise zu ihr drangen, waren Leonardos Schritte, er bereitete sich auf seine Abreise vor.
In dieser friedvollen Verfassung begann sie eine Malstudie. Die gefüllte Palette mit Pinseln neben ihr auf der Arbeitsplatte und vor ihr auf der Staffelei ein frischweißer Malkarton, schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf ihr Seelenherz. Diesmal gönnten ihre Gedanken ihr Ruhe - nichts störte sie, nichts konnte sie ablenken, sie war einzig auf ihr höheres Selbst ausgerichtet, das sie in ihrem Seelengrund wusste . . Bald gelangte sie in lichte Reiche, die sie durchglitt und sich auch hier von nichts ablenken ließ, so groß die Verlockung auch war. Und plötzlich, als habe sich ein Tor geöffnet, geriet sie in ein überirdisches Lichtreich voller Liebe, voller Harmonie, die ihrem Seelengrund entströmte. - Ein endloses Lichtermeer, zeitlos, grenzenlos . . , ewiges Strahlen . . .
Wie lange sie in diesem Himmelslicht verweilte, hätte sie hinterher nicht sagen können, da währenddessen der Zeitbegriff aufgehoben war.
So sanft sie in diese Sphäre hinein geraten war, glitt sie nun wieder heraus. Nur, wie ihr schien, bedeutend langsamer, auch unterbrochen von Pausen. Sie erlangte ihr Tagesbewusstsein nur in Etappen zurück.
Selbst als sie schließlich die Augen wieder öffnete, gewahrte sie zunächst ihr noch immer hell leuchtendes
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