Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
ihm, freute sich nur, dass es flott voranging, was momentan vorrangig war.
"Leonardo, du bist doch nicht ebenfalls in Gefahr, oder?"
Darauf legte er ihr den Arm um die Schultern: "No, Cara mia, und du jetzt auch nicht mehr. Die Gendarme werden womöglich erst in den nächsten Tagen in der Bottega auftauchen. Ich wollte vor allem, dass wir ihnen dann sagen können, unser Garzone Lukas sei vor einiger Zeit zurück zu seinen Eltern gereist und der Gastmaler Sikna habe sich nach einem kurzen Besuch bei uns wieder auf den Weg nach Holland begeben."
"Schlaukopf, du", lachte Lucia.
"Ich gestehe, dass es mir eine Genugtuung sein wird, diese Schlange dumm dastehen zu lassen. Sie kann ja nicht wissen, dass ich vorhin von einem mir gut bekannten Gendarmen gewarnt worden bin. Er hat mich auf dem Weg zur Gießerei abgepasst und mir zugetragen, eine Donna de Brondolo habe gestern in der Gendarmerie zu Protokoll gegeben, in unserer Bottega sei seit kurzem ein junger holländischer Maler beschäftigt, der aber in Wahrheit ein Bayer sei, höchstwahrscheinlich ein politischer Spitzel des oberbayerischen Herzogs."
"Mamma mia, ist diese Person gerissen! Haben die Gendarme ihr denn geglaubt?"
"Gleichwie", meinte Leonardo, "der Sache nachgehen müssen sie. Jedenfalls will sie dich nach all ihren vergeblichen Bemühungen jetzt auf diese Weise endlich ausfindig machen."
"Und die Blamierte ist dann sie. Du wirst mir doch gleich schreiben, wie es ausgegangen ist?"
"Mit Vergnügen", versprach er und seufzte dann: "Jetzt werden wir uns wieder wochen-, vielleicht Monde lang nicht sehen."
"Scht, nicht daran denken."
Kurz vor dem östlichen Torhaus hielt der Kutscher in einer Seitengasse an. Leonardo stieg aus, dann reichten sich Lucia und Leonardo zum Abschied wortlos, doch dafür umso inniger die Hände.
Auf der Weiterreise lösten sich Lucias Bedenken mehr und mehr auf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Gendarme Angelinas hanebüchene Geschichte mit dem politischen Spitzel ernst nähmen und ging davon aus, sie werden der Bottega zwar ihren Pflichtbesuch abstatten, danach jedoch die Angelegenheit vergessen. Dennoch war sie gespannt, was ihr Leonardo einst davon berichten wird.
Kapitel 10 • Ab Herbst 1492
Studie, Kopf einer Frau
Bereits als Lucia durch das westliche Meraner Torhaus in die Stadt einfuhr, empfing sie ihre Heimatstadt mit einem erfreulichen Gesicht. Der Herbstnebel hatte sich aufgelöst, und die Sonne sandte dem letzten Laub in den Vorgärten der Wohnhäuser einen goldenen Abschiedsgruß. Ein wonniger Anblick, der in den Mienen der über die Straße schlendernden Menschen reflektierte.
Während Lucia dann in ihrer Droschke tiefer in die Stadt gelangte, schlug ihr Herz noch höher, denn sie entdeckte ein in Bellwillfarben gestrichenes Haus - bald noch eins und dann noch ein weiteres. "Langsam, fahrt bitte langsamer", rief sie durch sie Verbindungsluke ihrem Kutscher zu, worauf er den Schritt der Pferde drosselte. Bald rollten sie über die geschäftige Passerstrasse, wo Lucia abwechselnd rechts und links aus den Fensterluken blickte und immer wieder ein frisch in silbergrau oder in elfenbein gestrichenes Gebäude mit mahagoniroten Türen erblickte. Und am Rand des Marktplatzes sah sie gar, dass auch die dortige zweistöckige Kaufhalle mit den freundlichen Bellwillfarben verschönert worden war. Über fünfzig verschiedene Einzelhändler bieten darin ihre speziellen Waren feil, überlegte Lucia, sicher haben alle für die Zahlung des Anstrichs zusammengelegt. Was sich rentiert hat, fand sie, denn jetzt wirkt dieses Gebäude einladend.
Schließlich stand Lucia vor dem lichtgelben Bellwillhaus und lächelte - welcher Unterschied zu dem früheren Dunkelgrau, kein Wunder, dass sich aufgrund dessen auch viele Städter von ihren düsteren Hausfassaden trennen.
"Gnädiges Fräulein, bon jour!", kam ihr auf dem Vorplatz Madame de Lousin entgegen, "ist das eine Freude! Aber warum habt Ihr Euch nicht angekündigt?"
"Bon jour! Weil alles so schnell gegangen ist."
Nun kam auch Vera herbei: "Habe ich da richtig gehört? Lucia, tatsächlich, Grüß Gott, Lucia!"
"Grüß Gott, meine Liebe!"
Sie umarmten sich, und als Lucia den Korridor betreten wollte, hielt Vera sie davon ab: "Warte, sonst verdirbst du mir meine Überraschung."
"Wieso?"
"Wirst du gleich erleben. Schließe jetzt fest deine Augen und komm mit."
Lucia gehorchte, und Vera führte sie durch die Verbindungstür in den Korridor, dort noch ein paar Schritte weiter
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