Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
seit dem Sommer endlich sein Gemaule über die Mörser- und Mischarbeiten ein End gefunden."
"Weil ich Laborant und kein Hersteller werde!", begehrte Justus auf, worauf ihm Lucia im ebenfalls aufbegehrenden Ton versetzte:
"Deshalb hast du diese Arbeiten auch nur ein Jahr üben müssen und nicht drei Jahre, wie ein Hersteller! Klar?"
"Klar", lachte er, und die Tischgenossen mussten mit lachen.
"Kaum ist unser Fräulein zurück, herrscht hier wieder Stimmung", ertönte jetzt von der Tür her Herrn von Lasbecks Stimme.
Er trat ein, begrüßte Lucia und nahm dann am gleichen Tisch Platz, worauf die Unterhaltung noch heiterer wurde.
Bald ertönte der Gong zum Abendbrot, und die kleine Gesellschaft begab sich nach nebenan in den Speiseraum. Bis auf Meister Rodder, der seine Speise oben bei seiner Gattin einnehmen wollte.
Nach dem Abendbrot verriet Lucia ihrem Bruder, auf den Sesseln ihrer Guten Stube, rechts hinten der letzte Raum, warte etwas auf ihn. Er möge es sich anschauen, und wenn es ihm gefalle, könne er es behalten.
"Patzig", freute er sich, "ein Geschenk? Ich kuck's mir gleich an. Aber vorher muss ich rüber zu Alex und Loisel, ihnen sagen, dass ich heute keine Zeit für sie habe."
Er eilte davon, während sich Lucia mit Vera und Herrn von Lasbeck wieder in den Aufenthaltsraum setzte. Dort hoffte sie dann, ihr Vater erscheine bald, um ihr auszurichten, ihre Mutter wolle sie begrüßen.
Darauf brauchte sie auch nicht lange zu warten.
Madame Rodder saß, in Kissen gestützt, aufrecht im Bett und lächelte Lucia entgegen.
"Bon jour, Maman!", begrüßte Lucia sie. "Wie geht es dir?"
Anstelle einer Antwort streckte sie ihre Arme nach Lucia aus und bat sie mit matter Stimme: "Erst komm zu mir, ma Chère - noch näher - oui, und nun setz dich auf mein Bett."
Lucia tat es, und Madame Rodder legte sogleich ihre Hände um Lucias Nacken, um sie zu sich heran zu ziehen. "Ma Chère, ma petite Lucia", flüsterte sie zärtlich. "Merci, dass du gekommen bist, ich freue mich so."
Sie streichelten und küssten sich glücklich. Als Lucia jedoch auffiel, wie kurzatmig ihre Mutter war, löste sie sich sachte aus der Umarmung und richtete sich wieder auf, wobei sie sich weiter die Hände hielten.
"Das Atmen fällt schwer, oui?", erkundigte sich Lucia, worauf ihre Mutter nickte und ihr dann anvertraute:
"Aber Madame de Lousin sorgt dafür, dass ich einen heilsamen Tee für meine Brust bekomme. Nicht den, der mir der Arzt verordnet hat, sondern einen nach meiner eigenen Rezeptur."
"Maman, du bist unverbesserlich. Hast du denn Fieber?"
Sie legte prüfend ihre flache Hand auf die Stirn der Kranken und stellte fest: "Nein, scheint mir nicht so."
Aber blass und spitz sah sie aus, und sie wirkte erschreckend matt.
"Lucia", brachte sie nun leise hervor, "mich strengt das Sprechen noch sehr an, erzähl du mir deshalb von dir?"
"Gerne, Maman. Von meiner Kunstschule?"
"Oui, am liebsten davon."
"Die Schule ist inzwischen zurück nach Mailand verlegt worden, das habe ich auch schon Vater und Justus erzählt", sagte Lucia ihr vorab, um endlich die Lüge mit Südfrankreich nicht länger Aufrecht halten zu müssen.
Ihre Hände lagen weiterhin ineinander, während Lucia näheres von der Bottega berichtete. Madame Rodder lauschte aufmerksam, und wie Lucia ihr einige ihrer Gemälde beschrieb, nahm ihr Händedruck zu. Auch beobachtete Lucia mit Freuden, dass ein wenig Farbe in ihr Gesicht geriet.
Fast eine halbe Stunde hatte Lucia bei ihr gesessen, als Madame de Lousin mit einer Tasse Tee eintrat, worauf Lucia ihrer Mutter die Wangen küsste und sich zum Gehen erhob.
"Wann kommst du wieder zu mir, ma Chère?"
"Wann immer du willst. Morgen nach dem Frühstück?"
"Oui, gerne. Bon nuit, Lucia!"
"Bon nuit, Maman!"
Beim Treppen hinab Gehen hatte Lucia ein klammes Gefühl, ihre Mutter wirkte so krank, so hilflos krank. Lucia selbst kam sich ihr gegenüber ebenfalls hilflos vor. Aber vielleicht hatte sie ihrer Mutter doch etwas gegeben, dachte sie, denn als sie ihr die Gemälde beschrieben hatte, war sie ein wenig aufgeblüht, und ihr morgiges Gespräch wird sie hoffentlich noch mehr aufbauen.
Unten auf dem Korridor kam ihr strahlend Justus entgegen: "Lucia, schau mal."
Er trug den braunen Adelsanzug mit für ihn zu langen Ärmeln und Hosenbeinen und auf dem Kopf die dazu gehörende Kappe: "Passt mir fast, siehst du?"
Beinah hätte er Lucia vor Dankbarkeit umarmt, ihr pubertierender Bruder, doch er besann sich und nahm stattdessen eine stolze Ritterpose
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