Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
allwissenden Gesichtsausdruck, und der Engel, so dezent er auch dargestellt war, drückte mit seiner symbolhaften Handhaltung Schutz aus.
Lucias Malversuche nahmen sich dagegen so dilettantisch aus, dass sie mitunter aufgeben wollte. Da hatte sie nun den Begriff markant verstanden, war jedoch außerstande, ihn in ihrer Malerei anzuwenden.
Ihr begonnenes Rosenbild hatte Lucia nicht mehr angerührt, es stand seit Wochen auf dem Boden ihres Malplatzes, mit dem Gesicht zur Wand gelehnt. Stattdessen übte sie sich im Darstellen von Faltenwürfen, wozu ihr der Maestro erläutert hatte: "Die Übergänge sind entscheidend, Lukas. Setze nie tiefdunkle Schatten direkt gegen helles Licht, das wirkt nicht nur hart, sondern auch platt. Du musst stets einen fließenden Übergang schaffen, dadurch wird eine Darstellung plastisch."
Gerade malte Lucia mit Temperafarbe ihren beigen Leinenkittel ab, den sie auf Carlos Hocker drapiert hatte, als der Maestro zu ihr trat. Prompt überfiel sie wieder dieses Zittern, weshalb sie ihre Hand mit dem Pinsel sinken ließ.
Darauf bedauerte er: "Schade, warst so konzentriert, und dann komm ich daher und reiß dich raus."
Ihre Stimme klang belegt: "No, no, ich muss ohnehin jetzt Schluss machen."
"Das musst du nicht, ich sehe doch, dass du gerade in bester Malverfassung bist und deshalb", er zog den Kittel vom Hocker, "wirst du deine Faltenstudie jetzt aus der Erinnerung fortsetzen."
Ehe Lucia etwas einwenden konnte, wandte er sich schon wieder von ihr ab. Nur, an Weitermalen war bei ihr vorab nicht zu denken. Alles in ihr war in diesem kurzen Moment in Aufruhr geraten, wie immer in letzter Zeit, wenn sich der Maestro in ihrer Nähe befand. Zwar erfüllte sie dann stets ein früher nie gekanntes Hochgefühl, in ihrem Schädel dagegen entstand Chaos. Doch sie kämpfte dagegen an, indem sie sich klarmachte, wie lächerlich sie wirke, wenn ihr jemand diesen Zustand anmerke, ihr, einem vermeintlichen Jüngling. Nein, ein zweiter Carlo wollte sie nicht sein.
Mit Beginn der Adventszeit war der Umbau abgeschlossen, bis auf das Auskacheln des neu entstandenen Raumes, das erst im kommenden Frühjahr durchgeführt werden soll.
Die beiden Treppen zum Hofgarten mit ihren sich nach unten bogenförmig verbreiternden Stufen waren so elegant geworden, dass sie von jedem bewundert wurden. Der sonst so bescheidene Carlo strahlte über diese Anerkennungen, und er strahlte noch mehr, als der Maestro ihm ankündete, nächstes Jahr werden diese Treppen noch mit Marmor verkleidet und mit Marmorgeländern ausgestattet, die ebenfalls er entwerfen dürfe. Nur mit den Geräten für das Farblabor, wie der neue Raum hier bereits allgemein genannt wurde, ging es nicht recht voran, was nicht verwunderlich war, da dem Maestro stets Konstruktionsverbesserungen einfielen. Darüber raufte sich der Schmiedemeister stets seine grauen Haare - Mamma mia, was dieser Maestro da mal wieder verlange von ihnen!
Mit ihrer Verliebtheit konnte Lucia mittlerweile besser umgehen. Sie bemühte sich beim Maestro mehr als bisher, männlich zu wirken, wodurch sie wie von allein eine noch forschere Haltung als bisher einnahm und einen noch knapperen Ton anschlug. Das hielt ihr Zittern im Zaum, und ihr Blick wurde deutlich fester. Den Maestro irritierte Lucias für ihn unbegreifliche Veränderung, die sie standhaft beibehielt. Bis eine Situation eintrat, die Lucia ins Wanken brachte. Sie begegnete dem Maestro im Korridor als sie gerade, in jeder Hand eine Kohlenschütte, Brennmaterial aus dem Keller besorgen wollte. Er stellte sich ihr in den Weg, und in seinen schönen grünen Augen stand die Frage: 'Was ist nur mit dir? Was habe ich dir getan?' Sie aber sah mit festem Blick zurück. Darauf schüttelte er enttäuscht den Kopf und gab Lucia den Weg frei. Für einen Sekundenmoment wollte sie ihm jetzt offenbaren, wie es tatsächlich in ihr aussah, doch ebenso schnell obsiegte ihre Vernunft, und sie setzte ihren Gang zum Keller fort.
Im Laufe der nächsten Stunden wurde Lucia klar, dass sie den Maestro mit ihrer 'männlichen' Haltung verletzt hatte. Wie konnte ich nur, warf sie sich vor und überlegte, wie sie dieses Missgeschick wieder ausbügeln könne. Wieder freundlich wie früher zu ihm werden, wäre eine Möglichkeit, sei aber wegen ihres konfusen Zustandes zu riskant. Locker, sie müsste frei und locker werden, ja, so wie die Künstler, die pflegten einen zwar respektvollen, doch lockeren Umgangston mit dem Maestro, den sollte sie sich jetzt
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