Hexenkuss

hatte er seinen Athame selbst geschmiedet. Danach hatte er seine Schöpfung mit seinem eigenen Blut genährt. Marie-Claire hatte vor Entsetzen einen leisen Schrei ausgestoßen, als sie die Narben an seiner Brust und seinen Oberschenkeln zum ersten Mal gesehen hatte. Sie ahnte natürlich nicht, dass er nicht mit siebzehn durch eine geschlossene Glastür gestürzt war - er hatte ihr erzählt, dass die Narben daher stammten. Nein, er hatte seinem Dolch Appetit auf Folter und Tod machen wollen.
    Auf Französisch raunte er: »Ich eröffne dieses Ritual mit dem Blut der Deveraux«, und fuhr mit der linken Klinge des Athame über seine linke Handfläche. Zischend sog er die Luft ein. Er mochte keinen Schmerz, und er hatte sich nie daran gewöhnt, welche Schmerzen der Ritualdolch verursachen konnte, wenn man ihn richtig benutzte.
    Als sich an der Lebenslinie seiner Handfläche ein roter Strich bildete, erhellte ein greller Blitz den Raum. Donner krachte sofort danach und ließ die Villa bis in die Grundmauern erbeben. Das Nachtfeuer beleuchtete den Raum bis in die Winkel und zeigte die feinen Antiquitäten, die Marie-Claire so gern kaufte, und zauberte einen goldenen Schimmer auf ihre Wangenknochen. Noch immer lag sie reglos auf dem Sofa. Wie bei einem lebenden Röntgenbild zeichnete sich jeder Knochen ihres Schädels durch die Haut ab. Ihre Finger wurden zu knochigen Stäbchen. Am Ansatz ihres anmutigen Nackens saßen die Wirbel einer auf dem anderen, deutlich sichtbar.
    Das ist ein Omen ihres Todes, dachte Michael. Der Gehörnte nimmt mein Opfer an.
    »Seht Ihr das, Laurent?«, murmelte er. »Heute haben wir die ganz hohen Tiere auf unserer Seite.«
    Mit der sauberen rechten Hand zog er ein geschnitztes Holzkästchen aus der Aktentasche. Dämonische Fratzen mit heraushängenden Zungen starrten ihm aus dem Mittelpunkt zweier Pentagramme entgegen, eines auf jeder Seite. Der Bussard der Deveraux war in den Deckel geschnitzt, mit einer Efeuranke im Schnabel. Efeu war das lebendige Symbol des Grünen Mannes und der Hexer, die den Fürsten in all seinen Verkleidungen anbeteten. Sollten die Hexen doch ihre Herrin haben, ihre Göttin. Es war in der Natur nun einmal so, dass das Männliche immer stärker war, immer über das Weibliche siegte, ganz gleich auf welchem Schlachtfeld.
    Michael trug das Kästchen zum leeren Kamin - er hatte seine liebe Mühe gehabt, Marie-Claire davon abzuhalten, Feuer darin zu machen, wo doch dieser Abend dafür wie geschaffen war. Er kniete nieder, neigte den Kopf, schloss die Augen und sammelte stumm all seine okkulte Kraft für das, was nun kam.
    Hinter den Ziegelsteinen und dem Mörtel des Kamins regte sich der Kadaver des Bussards, den er vor drei Monaten lebendig hier eingemauert hatte. Michael Deveraux war bekannt für seine unermüdlichen Anstrengungen, die prächtigen alten Häuser Seattles zu lokalisieren und zu erhalten, und für die unglaubliche Genauigkeit, mit der er sich historischen Details widmete, wenn er solche Gebäude renovierte. Ja, er hatte sich als äußerst hilfreich erwiesen, als die Andersons beschlossen hatten, den Kamin aus den 40er Jahren, der ihr viktorianisches Heim verunstaltet hatte, herauszureißen und die alte Pracht wiederherzustellen.
    Michael hatte die Gelegenheit genutzt - die er immerhin selbst mit geschaffen hatte, durch ein paar wohlgesetzte Andeutungen, wie man den ursprünglichen Charme ihres wunderschönen Hauses zur Geltung bringen könnte. Er erbot sich, die Renovierung selbst vorzunehmen. Richard Anderson versprach ihm dafür seine neueste Software. Michael tat so, als sei er mit dem Tauschhandel zufrieden, obwohl ihm Datenkomprimierung, oder was immer sonst Richards Firma kaufte und verkaufte, herzlich egal war. Das Ergebnis zählte, und die Anzahl der Zauber und Opfer, die Michael in diesen Kamin einbaute, hätte die meisten Hexer verblüfft, wenn sie davon gehört hätten.
    Und Laurent war offenbar beeindruckt von Michaels Gerissenheit.
    Seit Laurent ihm die Geschichte von den Deveraux und den Cahors erzählt hatte, versuchte Michael, das Schwarze Feuer heraufzubeschwören. Es hieß, das Geheimnis des Feuers sei mit Laurents Sohn Jean gestorben. Und wenn die Deveraux es je zurückgewannen, würden sie über die Coventry, die ganze Welt der Hexenzirkel, herrschen, was ihr verfluchtes Recht war. Laurent war ebenso begierig darauf wie Michael, diese Geheimwaffe in die Hände zu bekommen - nur über das Wie waren sie sich nicht einig. Michael war sicher