Hexenkuss
spähte angestrengt durch das Blut in seinen Augen, während die Hunde um die wabernde Gestalt herumwimmelten und bellten und kreischten wie Banshees. Von Michaels Hand tropfte das Blut beständig aufs Parkett.
»Hinfort mit dir!«, sagte er und streckte die Hand aus. »Ich banne dich. Ich verleugne dich. Weiche von mir, beim Fürsten der Jagd!«
Die Gestalt hob die Arme, und ein neuer, kalter Wind fegte durch den Raum.
Instinktiv drehte Michael sich zu dem Häufchen Asche im Kamin um und schützte es mit beiden Händen.
In diesem Moment erschien Laurent, Duc de Deveraux, in seinem Stadium fortgeschrittener Verwesung an Michaels Seite.
Die leeren Augenhöhlen starrten ihn an, der schlaffe Mund war zu einer wütenden Grimasse geöffnet. Das Phantom hob einen knochigen Arm und schlug Michael ins Gesicht. Die splitternden Knochen seiner spröden Fingerspitzen schlitzten Michael die Wange auf.
Michael stürzte zu Boden, eher erschrocken als verletzt, und starrte zu dem Herzog auf, der nun in den Kamin griff und die Handvoll Asche aufhob. Der alte Adlige barg die Asche an seinem Brustkorb, wo das verdorrte Herz wie ein grauer Wasserball, aus dem die Luft entwichen war, hinter den Rippen hing. Die andere Hand ballte er zur Faust und schüttelte sie drohend über dem am Boden liegenden Michael.
»Tu es rien«, hallte die Stimme des Herzog hohl aus den knöchernen Wangen. Du bist nichts.
Michael musste in hilfloser Wut zusehen, wie die Meute verschwand, der Wind erstarb und der Herzog sowie die schimmernde Gestalt verschwanden.
Es war vorbei. Sein Zauber würde heute Nacht nicht wirken.
Wütend zog er sein Gewand aus und packte es wieder ein.
Ich bringe sie trotzdem um, schäumte er. Ich werde ganz der pflichtbewusste Nachfahre sein, meinen Ungehorsam büßen und die Magie wirken, die Laurent mir zu zeigen bereit ist. Ich werde dem Geheimnis des Schwarzen Feuers auf die Spur kommen, und wenn es den Rest meines Lebens dauert.
Ich erwürge sie im Schlaf. Damals, in den guten alten Zeiten, wurden Hexen, die ihre Schandtaten gestanden, garrottiert, ehe man sie auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Sie ahnt nichts von ihrer Macht, weshalb sie gewissermaßen als Unschuldige gilt - das dürfte das karmische Gleichgewicht wiederherstellen. Sie hat einen so schlanken Hals, dass es ein Leichtes sein wird.
In der plötzlichen Stille klingelte das Telefon, und es klang wie das Kreischen eines Raubvogels. Marie-Claires Handy war irgendwie auf dem Sofa gelandet, obwohl Michael es dort zuvor nicht bemerkt hatte.
Sie war sofort wieder bei sich, setzte sich auf und tastete nach dem Telefon.
»Hallo?«, fragte Marie-Claire schläfrig. Sie warf Michael einen Blick zu und formte mit den Lippen die Frage: Bin ich eingeschlafen?
Er nickte und ballte die verletzte Hand hinter dem Rücken zur Faust. Anscheinend hatte er sich gut genug zusammengerissen, denn sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Anruf zu. Erst blinzelte sie, dann runzelte sie die Stirn. Sie fragte: »Wie bitte? Was?«, mit hoher, schriller Stimme. Ein paar Augenblicke lang bewegte sie nur stumm die Lippen - dann verzerrte sich ihr Gesicht, und sie brach in Tränen aus. Mit zitternder Hand drückte sie sich das Handy an die Brust.
»Mein Bruder ist tot«, klagte sie. »Seine Frau auch. Lieber Gott, Michael...«
»O Gott«, entgegnete Michael, und in ihrem Kummer merkte sie nicht, dass er seine Betroffenheit nur vortäuschte. Er streckte die linke Hand aus. Sie erhob sich vom Sofa, ließ sich gegen ihn sinken, erschauerte und drückte das Handy wieder ans Ohr.
»Holly. Natürlich.« Sie nickte beim Sprechen. »Selbstverständlich geht das. Ich nehme den nächsten Flug.« Tränen strömten ihre Wangen hinab. »Ja, ja, natürlich.« Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und er schlang den Arm um ihre Taille, um sie zu stützen.
»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte sie. »Ja. Danke. Ja.«
Sie legte auf und schmiegte sich an ihn, suchte Trost bei ihm. »Daniel«, stöhnte sie. »Oh, Daniel...«
Er besänftigte sie; er konnte gut mit Tieren und Frauen umgehen. Er streichelte ihren Rücken und ihre nassen, kalten Wangen und küsste ihre gerunzelte Stirn. Er ließ sie eine scheinbare Ewigkeit lang schluchzen und zeigte nichts von seiner Ungeduld. Er fragte sich, ob seine Söhne schon zu Hause waren und sich wunderten, wo er blieb. Diese Nacht entwickelte sich nicht so, wie er erwartet hatte, ganz und gar nicht.
Soll ich sie jetzt trotzdem umbringen?, überlegte
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