Hexenkuss
erklärte ihm Holly. »Ich bin nur eine Weile zu Besuch.«
»Ein Jammer«, sagte Tommy, und es hörte sich an, als bedauerte er es aufrichtig. »Dann ertränken wir unseren Kummer doch in Biscotti mit weißer Schokolade.« Er gab ihr die Speisekarte zurück. »Und ich hätte gern, dass du mich heute einlädst, Mani-chan, denn mein Ferienjob ist zu Ende, und -«
Amanda unterbrach ihn mit einem gebrummten: »Oh nein.«
Holly folgte Amandas Blick. An einem Tisch voller extrem stylischer Leute erhob sich die beinahe nuttig gekleidete Nicole wie ein Rockstar, der mit seiner Show beginnen will. Weder Holly noch Amanda hatten bemerkt, dass sie da war. Dann kamen zwei Jungs zur Tür herein, die violett und schwarz gestrichen war und an eine böse Prellung erinnerte. Beide waren von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und hatten sehr dunkles Haar, dunkle Augenbrauen und scharf gemeißelte Gesichter, aber nur der eine von beiden verschlug Holly den Atem.
Tommy seufzte, als wäre er an diese Nummer gewöhnt. Mit absurd höflicher Stimme fragte er Holly: »Möchtest du noch etwas außer deinem Chai Latte und den Keksen? Eine Kotztüte vielleicht?«
Holly errötete - er hatte sie dabei ertappt, wie sie einen anderen Jungen angestarrt hatte, was unhöflich war, wenn schon einer neben einem saß. »Was kosten denn die Kotztüten?«, entgegnete sie. »Das Café bei uns zu Hause führt so etwas nicht.«
Tommy wusste ihre Erwiderung offenbar zu schätzen. »Mach dir darum keine Gedanken. Nur das Beste für die Besucher unserer schönen Stadt. Du bist unser Gast.«
»Nur die Biscotti und die Tees«, schlug Amanda vor. Holly nickte.
»Okay. Aber pass auf - die da pickt die ganze weiße Schokolade ab und gibt dir dann den ekligen Rest zurück«, sagte Tommy vorwurfsvoll.
Er sah Amanda stirnrunzelnd an, doch die hatte sich schon jemand anderem zugewandt... wieder diesem aufregenden Typen, der den Raum durchquerte und schnurstracks auf ihren Tisch zuhielt.
Er sah Holly direkt an, wie ein Löwe - nein, ein geschmeidiger schwarzer Panther -, der auf seine Beute zuschlich, jeden Muskel angespannt, als wollte er sie anspringen.
»Ich geh dann mal. Unsere Bestellung gebe ich besser an der Bar auf, denn bis in diesen Winkel des Dschungels wird die Kellnerin nie vordringen«, erklärte Tommy und setzte sich in Bewegung.
»Hallo«, sagte der Neue. Er sah Holly immer noch direkt an.
Holly warf Amanda einen Blick zu, die leicht den Kopf senkte, an ihren Fingernägeln herumspielte und murmelte: »Hallo, Jer.« Ihre schlagfertige Fröhlichkeit war wie weggeblasen. Sie hob den Kopf und räusperte sich. »Holly, das ist Jeraud-Luc Deveraux. Holly, meine Cousine.«
Holly erwiderte Jers Blick und bewunderte seine dunklen Augen, doch dann dachte sie: Nein, sie sind grün, mit braunen Sprenkeln. Sie sind so... außergewöhnlich...
Der Raum neigte sich, als könnten alle Tische und Stühle, die Pinnwände mit Postern lokaler Bands und Flyern, die für Kunstausstellungen warben, und die brodelnde kupferne Espressomaschine, die Baristas, all die Leute in Schwarz und die Leute in den Football- und Basketballjacken über den Boden rutschen und in der Ecke landen, die von ihr und diesem einen Jungen am weitesten entfernt war. Holly wusste, dass sie ihm schon einmal begegnet war; sie wusste zwar nicht, wo oder wann, aber Jer Deveraux war für sie kein Fremder.
»Bonsoir, ma dame«, sagte er auf Französisch, wobei er das letzte Wort absichtlich wie zwei aussprach. So wurde die Floskel zu einer eleganten Begrüßung: Guten Abend, meine Dame.
Holly entgegnete, ohne zu zögern und ohne zu begreifen, warum die Worte so leicht und natürlich über ihre Lippen kamen: »Bonsoir, mon seigneur.«
»Hallo, Jer.« Tommy stand neben dem Tisch. Etwas barsch sagte er zu Holly und Amanda: »Die Biscotti sind aus. Aber vielleicht komme ich mit ein paar Froschschenkeln oder Schnecken wieder, denn offenbar ist im Half Caff heute Französischer Abend, und ich habe leider mein Wörterbuch vergessen.«
»Holly?«, fragte Amanda.
Doch Holly konnte sich nicht aus ihrer Benommenheit lösen. Sie konnte nicht aufhören, Jer anzustarren.
Jeraud-Luc Deveraux.
Das ist nicht sein Name, dachte sie. Er heißt...
Er heißt...
»Jean«, schluchzte Isabeau und streckte die Arme nach ihrer Herrin und Mutter aus. Die beiden trugen kostbaren Hexenornat - schwere schwarze Gewänder, das Haar mit Schleiern, toten Lilien und Kräutern geschmückt. »Bitte, ma mere, verschont
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