Hexenkuss
nur... sie darf ihn eigentlich nicht treffen. Sie sollte sich hier mit uns treffen. Aber wie üblich tut sie, was sie will, und ihr wird trotzdem nichts passieren.«
Doch ihr standen Tränen in den Augen, als sie wählte.
Tommy sah Holly stirnrunzelnd an und fragte: »Hat Jer dich irgendwie verhext oder was? Die Deveraux sind nämlich Hexer, weißt du?« Er wackelte dramatisch mit den Augenbrauen. »Sie opfern gern Jungfrauen. Du siehst also, Nicole kann wirklich nichts passieren.«
»Sei nicht so ein Idiot, Tommy«, fauchte Amanda und wischte sich das Gesicht. Dann wurde ihre Stimme schrill, als sie ins Telefon sprach. »Daddy? Kannst du uns abholen? Holly geht es nicht gut.«
Sie klappte das Handy zu und sagte: »Trink deinen Tee, Holly. Dann geht's dir gleich besser.«
Holly tat wie geheißen. Ihr war schwindlig und ziemlich übel.
Vielleicht hat er mich tatsächlich verhext, dachte sie. Denn das gerade eben war sehr, sehr merkwürdig.
Sie suchte den Raum nach Jer Deveraux ab, doch er war nirgends mehr zu sehen.
Sechs
Wolfmond
Speist uns, denn der Hunger wächst
An Feinden wollen wir uns laben
Wir werden ihre Augen schmausen
Herzen und Hirne, Rippen und Fleisch
Oh Herrin, höret unseren Schrei
Verzweifelt blicken wir zum Himmel
Stärkt das Band der Herzen und Seelen
Eint und tröstet uns in Euch
Die Deveraux-Brüder stritten sich, wie üblich. Eli hatte sie beide mit dem Mustang Cabrio zum Half Caff gefahren und war dann mit Nicole Cathers verschwunden. Jer hatte zusehen müssen, wie er nach Hause kam.
Ich wäre gern mit Nicoles Cousine aus San Francisco nach Hause gefahren. Wow. Was war das denn?
Er war aus seinem Zimmer, wo er auf dem Bett gelegen und an Holly Cathers gedacht hatte, nach unten gegangen und hatte seinen Bruder allein im Wohnzimmer vorgefunden. Da hatte der Streit angefangen, und Jer wurde gerade erst warm.
»Du Schleimbeutel«, herrschte er Eli an. »Warum gibst du dich überhaupt mit Nicole ab? Sie ist oberflächlich.«
»Oberflächlich?« Eli bog sich vor Lachen. »Wer bist du, Emily Dickinson? Sie ist scharf.« Eli legte gerade letzte Hand an einen Athame mit schwarzem Heft. Er hielt inne, bewunderte sein Werk und legte den rasiermesserscharfen Dolch auf den Couchtisch. Dann ließ er die Fingerknöchel knacken. »Sie will mit mir zusammenziehen, wenn die beiden mit der Schule fertig sind.«
»Du musst sie verzaubert haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie dich überhaupt will«, erwiderte Jer abfällig.
Unbekümmert prüfte Eli die Klinge an einem dicken Stück Rinde, das mit Beifußpaste bestrichen war - dem Lieblingskraut der Hexen.
»He, Mann, ob es nun die Künste sind oder mein Sixpack - manche Jungs stemmen Gewichte, und manche erwürgen Tauben. Und manche machen beides.« Er kicherte. »Und ich sage dir, was auch immer die Kleine bei der Stange hält, soll mir recht sein.«
Er zündete eine Kerze an, hielt die Klinge über die Flamme und ließ das Metall heiß werden. Er schlug eine kleinere Version des Buchs der Schatten ihrer Familie auf, schaute hinein, um den Weihezauber zu rezitieren. Dann blickte er wieder zu Jer auf.
»Jedenfalls vielen Dank dafür, dass du dich im Half Caff um die Reste gekümmert hast. Amanda ist scharf auf dich, weißt du? Und du musst irgendwas mit dieser Cousine angestellt haben. Haley oder Kylie, oder wie auch immer sie heißt. Die hat dich angestarrt wie versteinert.«
»Wenn du meinst.« Er wollte mit seinem schmierigen Bruder nicht über Holly Cathers sprechen.
»Allerdings hat sie mich ja auch noch nicht kennen gelernt.«
Jer begutachtete den Dolch seines Bruders. Eli mochte alles Mögliche sein, aber er war auch ein sorgfältiger Handwerker, der großartige Arbeit leistete. »Dann gibt es also doch einen Gott.«
»Das ist nur zufällig nicht derselbe Gott, dem wir huldigen.« Eli riss seinem Bruder den Dolch wieder aus der Hand und schwang ihn in einem dramatischen Bogen durch die Luft. Die Klinge schimmerte im magischen Grün, der traditionellen Farbe ihres Covens, der seine größte Blütezeit im mittelalterlichen Frankreich erlebt hatte. Eli lächelte, berührte die Spitze der Klinge mit dem Zeigefinger und nickte befriedigt, als ein Tropfen Blut erschien. Er steckte den Finger in den Mund und musterte Jer kichernd - offenbar fand er ihn sehr amüsant.
Jer reagierte nicht darauf. Sein Bruder war ein Idiot, schon immer gewesen, und daran würde sich zweifellos auch nichts mehr ändern.
»Willst du mir
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