Hexenkuss
unverkennbare Knarren ihm jede Bewegung seiner Söhne verriet.
Als er die offene Küchentür erreichte, blieb er so stehen, dass er von innen nicht gesehen werden konnte, und spähte dann um den Türstock nach drinnen. Die Tür zur Speisekammer war ebenfalls offen, und Eli stand dort drin, mit dem Rücken zu Jer. Er murmelte einen Spruch auf Lateinisch, einen Standardzauber für die Macht, etwas aus der Ferne zu sehen.
Er hat eine Art magischen Spiegel und spioniert Dad damit aus, erkannte Jer. Kluges Kerlchen.
Ein scharrendes Geräusch drang aus der Speisekammer - Backstein auf Backstein -, und Eli trat heraus. Jer huschte von der Küchentür weg und den Flur entlang zur Gästetoilette. Er drückte die Tür gegen die Angeln, damit sie nicht quietschten, schlüpfte hinein und zog die Tür zu.
Eli verließ die Küche und trampelte über die losen Dielenbretter.
Sein Bruder suchte im Kraftraum nach ihm, begann dann zu summen und ging nach rechts. Dort lag die Tür zur dunklen Kammer. Beide Jungen hatten von Kindesbeinen an gelernt, dass sie niemals ohne ausdrückliche Erlaubnis da hinuntergehen durften. Jeder hatte als kleiner Junge eine einzige Gelegenheit bekommen, selbst die Erfahrung zu machen, dass sie ohne vorherige Einladung dort unten in sehr, sehr ernsthafte Schwierigkeiten geraten würden. Eli hatte sich nicht belehren lassen, sondern es trotzdem mehr als ein Mal versucht. Nur das Eingreifen ihrer Mutter hatte ihn vor einer Bestrafung bewahrt, die so unglaublich schwer gewesen wäre, dass sie für ihre Mutter den letzten Tropfen dargestellt hatte: Keine Woche später hatte sie sie verlassen.
»Ich weigere mich, so zu leben oder meine Kinder so aufwachsen zu lassen«, hatte sie gesagt. Obwohl Jer damals erst drei Jahre alt gewesen war, erinnerte er sich noch daran, wie sie ihrem Vater gegenübergestanden hatte, die Arme fest um ihre Söhne gelegt.
Doch irgendwo auf dem Weg zur Freiheit von Jers Vater hatte sich dieser Griff gelöst. Sie war ohne Vorwarnung mitten in der Nacht verschwunden und hatte ihre beiden Jungen zurückgelassen. Jer erinnerte sich an die Wut seines Vaters, an Blitze, Donner und an den Regen. Es hatte so sehr geregnet. Eimerweise, in Strömen, sintflutartig - er wusste noch, wie er in der finsteren schwarzen Kammer gesessen hatte, mit seinem Vater. Michael hatte leise gemurmelt: »Ihr Gott hasste die Menschen so sehr, dass Er versuchte, sie mit einer Sintflut auszulöschen. Denkt daran, meine Söhne, dass das nicht unser Gott ist. Unser Gott sorgt immer gut für uns.« Und dann hatte er so leise hinzugefügt, dass Jer anfangs nicht sicher war, ob er es wirklich gehört hatte: »Im Gegensatz zu eurer Mutter.«
Von da an hatte Eli ihre Mutter gehasst. Beim nächsten Mal, als Jer sie erwähnt hatte, hatte Eli ihn fast zu Brei geschlagen; hätte ihr Vater seinen ältesten Sohn nicht aufgehalten, dann hätte Eli seinen jüngeren Bruder vielleicht totgeprügelt.
Jer wollte gern glauben, dass Elis Bösartigkeit damit angefangen hatte, aus der hilflosen Wut heraus, weil er sich im Stich gelassen fühlte. Das würde seine Grausamkeit erklären.
Und meine.
Manchmal war ein Deveraux zu sein mehr, als Jer fühlen oder erklären konnte. Da war etwas im Blut der Deveraux, das tief im Inneren köchelte, und wenn Jer nicht gut aufpasste, brodelte es hoch und kochte über. Der Drang, andere zu verletzen, schockierte ihn. Der Drang, andere zu dominieren, brachte ihn zum Schwitzen und dazu, für sich zu bleiben. Er hatte nur seine guten Freunde Eddie und Kialish, die durch Interesse am Schamanismus zumindest einen gewissen Schutz gegen ihn besaßen. Kari flirtete mit der Gefahr in ihm - vielleicht war das der Grund, weshalb er in letzter Zeit versuchte, sich von ihr zurückzuziehen.
In einer Menschenmenge war Jer stets allein, der Einzelgänger. Und er war sich bewusst, dass allein das ihn für Mädchen attraktiv machte. Sie liebten das Geheimnisvolle. Sie durchbrachen gern die Schale eines Kerls, der andere vor sich selbst schützen wollte.
Amanda Cathers war so eine. Nicole spielte vielleicht gern das böse Mädchen, kleidete sich sehr sexy und trieb sich mit seinem gefährlichen Bruder herum, doch Amanda wollte Jer vor sich selbst retten. Sie glaubte, dass sie das könnte, er wusste, dass sie es nicht konnte, und er wusste nicht, was er trauriger finden sollte.
Wir Deveraux sind verflucht. Und wie soll ich das einem lieben, schüchternen Mädchen wie Amanda erklären, das lieber etwas über
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