Hexenmacht
einem Tintenfass heraus, das auf einem dicken, staubigen Buch stand. Daneben befand sich ein kleiner hölzerner Globus.
Der Atem der Frau ging etwas schneller. Ihre Lippen öffneten sich, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte.
Im nächsten Moment sah ich ihr gegenüber.
Ich erschrak bis ins Mark, als ich den unscheinbaren Mann um die fünfzig sah. Er war untersetzt und hatte eine Halbglatze. Nichts an ihm schien besonders hervorstechend zu sein. Da war lediglich das Glitzern seiner Augen, das andeutete, was in ihm steckte.
Ich kannte diesen Mann nur zu gut!
Es handelte sich um niemand anderen als den ehemaligen Gesichtschirurgen Dr. Skull, einen skrupellosen Verbrecher, der seine Karriere damit begonnen hatte, Mafia-Größen neue Gesichter zu verpassen, damit sie leichter untertauchen konnten.
Später hatte er sein Tätigkeitsfeld erweitert. Im Laufe der Zeit hatte er sich ein gewaltiges Wissen über okkulte Praktiken erarbeitet, da er schnell erkannt hatte, wie gut sich dies für seine Ziele nutzen ließ. Und sein wichtigstes Ziel war es, auf möglichst leichte Weise an das Geld anderer Leute zu gelangen. Was das betraf war völlig ohne jeden Skrupel und schreckte auch vor Betrug und Mord nicht zurück.
Er war wegen zahlreicher Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden, aber vor einiger Zeit wieder aus der Haft entflohen.
Es wurde weltweit nach ihm gefahndet - bislang erfolglos.
Denn Dr. Skull war eine Art Chamäleon, das sich in jede Lage hinzufinden verstand und sich überall anzupassen wusste.
Ich war wiederholt mit Dr. Skull zusammengetroffen.
Und ich hatte meinen Anteil an seiner Verhaftung gehabt, was sicher mit dazu geführt hatte, dass er mich als seine Feindin betrachtete.
Zuletzt war ich ihm in Tanger begegnet, als ich dort zusammen mit einem New Yorker Kollegen namens Steve Davis seine Spur aufzunehmen versucht hatte. Wie so oft schon war er im letzten Moment entkommen. In der Villa des geheimnisvollen Abd el-Mots, den er mit Hilfe magischer Rituale unter seinen Willen gezwungen hatte, war er in einem seltsamen Korridor aus Licht verschwunden...
Ich sah das Gesicht Dr. Skulls so realistisch vor mir, dass mich unwillkürlich ein kalter Schauder erfasste. Seine Augen glitzerten kalt. Der schmallippige Mund verzog sich etwas, so dass ein zynischer Ausdruck entstand.
Ebenso wie die Frau mit den blauen Augen sagte er etwas.
Die Lippen bewegten sich, aber ich verstand nichts von dem, was er sagte.
Ich fühlte ein tiefes Unbehagen.
Dann sah ich wieder die Frau.
Aber mit ihren Augen war etwas geschehen.
Nichts weißes war mehr in ihnen. Sie hatten die strahlend blaue Farbe der Pupillen.
Es sah gespenstisch aus.
Sie wirkte beinahe wie blind dadurch. Ihr Gesicht lief rot an, und die Ader an ihrer Schläfe pulsierte...
Ich schreckte aus dem Schlaf auf und atmete tief, als ich erkannte, dass ich nur geträumt hatte.
Nur...
Ich schluckte und wandte mich zum Fenster. Draußen war es ziemlich stürmisch. Der Wind bog die uralten Bäume in Tante Lizzys Garten kräftig nach Westen. Wolken zogen schnell am Nachthimmel entlang und ließen hin und wieder den Mond als verwaschenen Fleck hindurchscheinen.
Irgendwo klapperte ein Fensterladen.
Vielleicht hatte er mich geweckt.
Ich schlug die Decke zur Seite und machte Licht. Erst jetzt fühlte ich mich wirklich sicher. Dies war die Wirklichkeit, nicht die Welt meine Träume, mit denen es etwas besonderes auf sich hatte.
Ich setzte mich in einen großen Ohrensessel und zog die Knie dicht an meinen Oberkörper heran.
Ich hatte von meiner Mutter eine leichte übersinnliche Gabe geerbt, die sich in intensiven Träumen oder Tagtraumvisionen zeigte. Oft auch nur in Ahnungen. Ich konnte auf diese Weise in die Zukunft, an weit entfernte Orte oder in die Vergangenheit blicken und so die Abgründe von Raum und Zeit, die ansonsten unüberwindliche Hindernisse für den Menschen sind, wenigstens schlaglichtartig überbrücken...
So hatte ich den Tod meiner Eltern als junges Mädchen vorausgesehen. Die Erste, die mich auf diese Fähigkeit jedoch aufmerksam gemacht hatte, war Tante Lizzy gewesen. Anfangs hatte ich diese 'Gabe' - wie Tante Lizzy sie nannte - zunächst mehr als Fluch betrachtet. Denn es ist mitunter äußerst grausam, von einem kommenden Ereignis, einem scheinbar unabwendbaren Verhängnis zu wissen und gleichzeitig die schreckliche Gewissheit zu besitzen, dass man nichts dagegen tun kann.
Inzwischen hatte ich meine Gabe
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