Hexennacht
diese Tür immer geärgert und
er wollte sie entfernen lassen. Aber sie schließt so gut, wenn
man einmal den Mechanismus kennt.« Sie steckte den Kopf in das
dunkle Loch und tastete mit der Hand die Wand neben dem Rahmen ab.
Die Katzen rannten zwischen ihren Beinen hindurch in die Finsternis.
Arved trat hinter sie und spähte in den Raum.
Er hörte leises Jammern.
Magdalena und Arved sahen sich an. Dann sagte die junge Frau:
»Das ist Jürgen!«, und schon war sie in der
Höhlung verschwunden. Mit klopfendem Herzen folgte Arved.
Das Licht aus dem Heizungskeller erhellte den Raum nur
unvollkommen. Immerhin erkannten sie die niedrige Decke, unter der
man kaum aufrecht stehen konnte. Der Raum war schmal, aber tief
– wie ein riesiger Schlauch. Und die Wände glänzten
feucht und dunkel.
Am hinteren Ende flammte ein Licht auf. Ein Kerzenlicht. Von dort
kam das Stöhnen. Magdalena schien keine Furcht mehr zu kennen;
sie rannte auf den Ursprung der Klagelaute zu. Als Arved sich hinter
ihr dem Ende des Raumes näherte, sah auch er die Pritsche, auf
der jemand lag. Und am Fußende saß auf einem kleinen
Hocker eine in einen Umhang gehüllte Gestalt. Er erkannte sie
sofort. Erkannte sie in zweifacher Weise. Es war die Gestalt, die ihm
mehrfach in der Stadt und auch im Wald oberhalb von Manderscheid
begegnet war. Zwar hatte er damals nicht ihr Gesicht gesehen, doch
Größe und Haltung waren dieselbe.
»Ich grüße dich, Arved Winter. Ich habe lange auf
dich warten müssen.«
Ja, es war dieselbe Stimme – alt wie die Welt, brüchig
wie uraltes Papier. Und jetzt wusste er, wem sie gehörte. Die
beiden Katzen strichen ihr um die dürren Beine.
»Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass
wir uns wiedersehen, Lydia Vonnegut«, sagte er mit tiefem
Abscheu in der Stimme.
»Was hast du mit meinem Mann gemacht, abscheuliche
Alte?«, schrie Magdalena sie an und kniete neben Jürgen
Meisen nieder.
»Gar nichts«, antwortete sie langsam und ungerührt.
»Das, was du siehst und hörst, fügt er sich andauernd
selbst zu. Ich kann nichts daran ändern. Ich kann ihn nur
bewachen.«
»Bewachen? Warum?«, wollte Arved wissen und stellte sich
vor die entsetzliche alte Frau. Sie hatte den Umhang ihrer Kapuze
zurückgeschlagen und zeigte ihm unverhohlen ihr schreckliches
Gesicht. Das grüne und das schwefelgelbe Auge fixierten ihn
unbarmherzig, und ihr Gesicht war nur noch eine Ansammlung von
Runzeln und Falten, wie bei einer Mumie.
»Wir verändern uns hier nicht mehr«, sagte sie.
»Wir tragen nur noch unser wahres Gesicht, Arved Winter. Du
solltest froh sein, dass es hier keine Spiegel gibt.«
Arved fuhr sich mit der Hand an Wange und Kinn.
Inzwischen schrie Magdalena ihren Mann an: »Jürgen! Wach
auf! Ich bin es! Magdalena! Deine Magdalena ist hier!« Er
reagierte nur, indem er noch lauter stöhnte. In der Tat waren
ihm die Augen zugenäht worden.
»Was sieht er?«, fragte Arved.
»Das Schrecklichste, das er sich vorstellen kann«,
antwortete Lydia Vonnegut.
»Wir nehmen ihn mit«, sagte Arved und wich dem Blick der
Alten nicht mehr aus.
Sie verzog den zahnlosen Mund zu einem schiefen Lächeln.
»Das geht nicht. Es ist wunderbar, solch besondere Gäste
wie euch hier zu haben. Es geschieht so selten – mit Leib und
Seele. Welch eine Festspeise! Auch du und deine Begleiterin seid bald
soweit. Ach, was für eine Wonne das wird!« Lilith und
Salomé schnurrten und funkelten Arved an.
Arved sah, wie Magdalena ihren Mann umarmte. Er schien es nicht zu
bemerken. Die Alte grinste noch immer. »Sie versteht es
nicht«, sagte sie mit falschem Bedauern in der Stimme und
schüttelte den Kopf.
»Wir werden von hier weggehen und wir werden ihn
mitnehmen«, sagte Arved bestimmt.
»Ah, interessant. Der kleine Arved Winter wird plötzlich
stark. Ein wenig zu spät, wie mir scheint, Herr
Pastor.«
»Das glaube ich nicht.« Arved stemmte die Fäuste in
die Hüften und sah sie scharf an. Etwas an ihr wich zurück.
Es war nichts Körperliches. Arved verstand es nicht, aber er
setzte nach. Er spürte eine große Kraft in sich pulsieren.
Und er spürte, wie Lydia Vonnegut sich sammelte.
Etwas drang in ihn ein. Es war hart und voller Bilder. Nun sah er
wieder das, was er in seinen Visionen von Magdalena Meisen gesehen
hatte – damals in einem anderen Leben. Er sah ungeheuerliche
Räume, durchschwirrt von unglaublichen Wesenheiten, deren
Anblick einem bereits das Blut gefrieren ließ. Arved biss die
Zähne zusammen und konzentrierte
Weitere Kostenlose Bücher