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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sich. Das Bild wurde
schwächer. In seinen Gedanken bildete sich eine Faust. Es war
seine eigene Faust. Mit ihr griff er in Lydia Vonnegut hinein. Sie
zuckte zusammen und keuchte auf. Das Bild war verschwunden, und er
sah, wie die Frau vor ihm auf dem kleinen Hocker hin und her
schwankte.
    »Du wirst mir nichts mehr befehlen, Lydia Vonnegut«,
presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Er
packte ihr Innerstes. Die Katzen machten einen weiten Sprung von
ihrer Herrin fort und kauerten sich unter dem Bett zusammen.
    Der Boden unten ihnen begann zu schmelzen. Zuerst bemerkte Arved
es nicht, doch als auch er allmählich taumelte, schaute er nach
unten und sah mit Erstaunen und Erschrecken, dass der Untergrund sich
hob und senkte. Dort, wo Magdalena und die Pritsche standen, war er
noch fest. Sie bemerkte nichts, hatte nur Augen für ihren Mann
und versuchte ihn aufzuwecken.
    Arved drückte noch einmal zu. Es war ein Gefühl, als
halte er ihr Herz gepackt, das in seinem Griff zuckte und
hüpfte.
    Der Boden riss. Es tat sich ein Spalt auf, der schnell zu einem
kreisrunden Loch wurde. Lydia Vonnegut sprang von ihrem Hocker auf,
der in die Tiefe stürzte. Doch sie verlor das Gleichgewicht.
Einen Moment lang taumelte sich noch am Rande des Loches, dann war es
schon so breit geworden, dass sie sich nicht mehr halten konnte. Sie
warf die Arme in die Luft, versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch
nichts befand sich in ihrer Reichweite. Mit einem schrecklichen
Schrei flog sie in den bodenlosen Abgrund.
    Nun ruderte auch Arved mit den Armen. Er stieß einen
verzweifelten Ruf aus. Magdalena riss sich von ihrem Mann los und
schaute hinter sich. Als Arved das Gleichgewicht zu verlieren drohte,
hastete sie hinter ihn und ergriff ihn an seiner Jacke. Arved
spürte, wie seine Füße den Halt verloren. Er blickte
hinab in den Schlund.
    Und sah die Wesen, die er in seinen Visionen gesehen hatte.
    Sie warteten auf ihn.
    Magdalena packte ihn jetzt bei den Schultern und riss ihn unsanft
zurück. Er fiel auf sie. Das Loch schloss sich vor seinen Augen
wie ein Mund. Aber der Riss war noch sichtbar.
    »Schnell!«, rief Magdalena, während sie sich von
Arved losmachte und aufstand. »Hilf mir, ihn
hinauszutragen.« Sie war wieder neben ihrem Mann und hielt ihn
bei den Schultern. »Nimm die Beine. Beeil dich!«
    Arved gehorchte, wie damals im Kunowald. Gemeinsam gelang es
ihnen, den Reglosen von der Pritsche zu heben. Sie taumelten mit ihm
in Richtung der niedrigen Tür. Dabei mussten sie den
geschlossenen Spalt überqueren.
    Er öffnete sich wieder. Nun bot ihnen nichts mehr Halt; sie
gerieten ins Rutschen. Doch statt in einen schwarzen Schlund mit
albtraumhaften Ungeheuern zu fallen, blies ihnen ein fauliger Wind
entgegen, und Arved hatte den Eindruck, als drehe sich ihre Umgebung
im rechten Winkel. In der Tat stürzten sie nicht in eine
bodenlose Tiefe, sondern sie standen auf einem windumtosten
Bauwerk.
    Arved und Magdalena sahen sich verständnislos an. Dann erst
bemerkten sie, dass Jürgen Meisen verschwunden war.
    »Jürgen!«, schrie Magdalena verzweifelt. »Wo
ist er? Wir hatten ihn doch fest gepackt? Hast du ihn losgelassen? Wo
sind wir?«
    Auf all diese Fragen wusste Arved keine Antwort. Er selbst hatte
sich schon lange keine Fragen mehr gestellt. Es war sinnlos. Dort, wo
sie waren, gab es auf keine Frage eine Antwort.
    Sie standen auf dem Dach eines gewaltigen Wolkenkratzers. Er
befand sich nicht in Trier, das wusste Arved. Als er den Blick in
alle Richtungen schweifen ließ, wusste er auch, dass sich weder
dieser Wolkenkratzer noch die anderen Gebäude, die man von hier
aus sehen konnte, in irgendeiner bekannten Stadt der Welt befanden.
Wohin er auch schaute, erhoben sich Hochhäuser in allen
möglichen Formen. Nur ihre Farbe war gleich: Grau. Sie alle
bestanden aus Beton. Und alle waren Rohbauten. Hinten, in einer
Entfernung von mehreren Kilometern, stürzte eines ein. Eine
gewaltige graue Rauchwolke verhüllte die Ruine für lange
Zeit. Dumpfes Rumpeln drang mit einiger Verzögerung an sein Ohr.
Auch rechts von ihm kam es zur Katastrophe; es war wie ein Widerhall
des Einsturzes vor ihm.
    Und überall wurde gebaut. Mit rasender Geschwindigkeit. Doch
nichts wurde fertig. Manchmal erzitterte der Rohbau, auf dem sie
standen, in seinen Grundfesten, wenn wieder ein anderes Gebäude
einstürzte, und Rauch und Schuttwolken drangen bis zu ihnen.
Fauliger, dicker Wind umblies sie, zerrte an ihren Haaren, an ihrer
Kleidung

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