Hexennacht
endlich.
»Ich… ich weiß es nicht«, antwortete seine
Frau und rieb sich die Schläfen. Sie sah Arved verdutzt an.
Arved zuckte die Achseln. Er wollte nicht darüber nachdenken.
Er wollte über gar nichts nachdenken, was ihnen hier widerfuhr.
Wenn er sich darauf einließ, wäre er verloren, das wusste
er.
Die Betonbank verwandelte sich. Sie bildete Fortsätze aus.
Arved sprang hoch und rief: »Vorsicht!« Magdalena konnte
den Fortsätzen knapp entkommen. Jürgen wurde von ihnen
gefesselt. Seine Frau riss gemeinsam mit Arved daran, doch sie waren
so hart, dass sie sie keinen Millimeter bewegen konnten. Sie hatten
sich um Jürgen geschlungen und zogen ihn in die Bank hinein.
»Nein, nein!«, schrie Magdalena. Jürgen wand sich
unter der steinernen Umarmung, konnte sich aus ihr aber nicht
befreien. Arved packte noch einmal einen der Arme und zerrte mit
aller Kraft daran. Nun lockerte er sich doch ein wenig. Mit neuem Mut
arbeitete Arved verbissen weiter. Er spürte, wie ihm der
Schweiß über die Stirn lief und in den Augen brannte. Der
Betonarm wurde schlaff und plötzlich fielen auch alle anderen
grauen Tentakel von Jürgen ab, der sofort aufsprang und
davonlief. Arved und Magdalena setzten ihm nach.
Und nicht nur sie.
Sie kamen aus allen Häusern. Aus allem Unfertigen. Sie waren
wie der Geist der Häuser. Unfertig. Als Arved sich kurz nach den
Geräuschen umdrehte, blieb ihm fast das Herz stehen. »Seht
nur nach vorn!«, rief er den anderen beiden zu. »Lauft, so
schnell ihr könnt.«
Es waren Ausgeburten einer kranken Phantasie. Sie bestanden aus
Teilen der ungeheuerlichen Wolkenkratzer und aus Organischem. Sie
waren grau wie alles hier. Sie waren gewaltig. Bizarr. Grotesk. Und
schnell.
Vorn auf der Straße stand jemand und winkte sie heran.
Arveds erster Gedanke war, ihm auszuweichen und in eine Seitengasse
einzubiegen. Doch es war etwas an der verwachsenen, verhüllten
Gestalt, das ihn trotz allem zuversichtlich stimmte. Nun waren sie
nicht mehr weit von ihr entfernt. Seine beiden Gefährten
schienen sie überhaupt nicht bemerkt zu haben. Die Gestalt
schlug die Kapuze ihres Umhangs zurück.
Es war das Froschwesen, das sie in der alten Klosterkirche gesehen
hatten. Das Froschwesen, das ihnen den Weg hierher gewiesen hatte. Es
hob einen kurzen, verdrehten Arm und hielt die Finger gespreizt.
Arved bemerkte beiläufig, dass sich zwischen den Gliedern
Schwimmhäute dehnten.
»Hier entlang«, sagte es gelassen und zeigte auf ein
Loch im Boden. »Beeilt euch.«
Arved blieb stehen und sah Magdalena und Jürgen an. Nun
hatten sie die Gestalt ebenfalls gesehen. Magdalena verzog das
Gesicht in Abscheu und Jürgen streckte abwehrend die Hand
aus.
»Stellt euch nicht so an«, raunzte Arved sie
schließlich an, nachdem er sich entschieden hatte. »Wir
haben keine andere Wahl.« Er lief an dem Krötenwesen vorbei
und sprang in den Schacht.
Er sprang ins Bodenlose.
Arved wusste nicht, ob Magdalena und Jürgen ihm gefolgt
waren. Er fiel und fiel und fiel. Um ihn herum war nur Schwärze.
Doch dann hellte es sich allmählich auf. Und sein Fall wurde
sanft abgebremst.
Er stand auf einem festen Untergrund. Kurz hatte er noch den
Eindruck, dass die Tiefe ihn ansog, doch dann schien die ganze Welt
sich zu drehen. Er rieb sich die Augen, denn er konnte nicht glauben,
was er sah.
Er stand wieder auf dem Dach eines Hochhauses, ähnlich dem,
auf dem sie oben gestanden hatten. Aber was war oben? Er schaute hoch
und sah ein Spiegelbild der ungeheuren Stadt; die Bauten hingen wie
Stalaktiten von einer unsichtbaren Decke – aus dem Himmel. Es
hatte den Anschein, als lägen nur wenige hundert Meter zwischen
dem umgekehrten Hochhaus, dem Spiegelbild des Gebäudes, auf dem
er stand, und ihm selbst. Die Stadt war verdoppelt, war oben und
unten. Es nahm ihm den Atem.
Neben ihm standen jetzt Magdalena und Jürgen. Auch sie waren
sprachlos.
Staub und Rauch rieselte vom Himmel, von der auf dem Kopf
stehenden Himmelsstadt; auch dort brachen die Gebäude in sich
zusammen.
Das Froschwesen hatte sich zu ihnen gesellt. »Beeindruckend,
nicht wahr?«, quakte es. »Ich finde es immer wieder
faszinierend, all die unterschiedlichen Visionen und Albträume
zu sehen. Springt.«
Arved sah es mit großen Augen an. »Springen?
Wohin?«
»In den Himmel«, antwortete es und warf einen scheelen
Blick auf Jürgen Meisen.
Arved legte den Kopf in den Nacken und schaute auf das drohend
herunterhängende Haus über ihnen. »Warum sollten wir
dir
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