Hexennacht
Abzweigung genommen zu haben, tauchte
links von der Straße das große, moderne
Krankenhausgebäude auf – wie ein Fels in der Nacht. Rasch
fuhr er die Auffahrt hoch und lenkte den alten Wagen dreist in die
Einfahrt der Rettungsfahrzeuge. Er sprang hinaus, schaute sich rasch
um und fand eine Kordel, an der er zog, ohne lange nachzudenken. Kaum
eine Minute später erschien eine etwas verschlafen wirkende
Krankenschwester mit verknittertem weißen Kittel und schaute
ihn fragend an.
»Ein Notfall«, sagte er hastig und deutete auf den
Wagen. Er sah, dass auch die junge Frau auf dem Beifahrersitz in sich
zusammengesackt war.
Die Krankenschwester warf einen Blick durch das Seitenfenster. Und
hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund.
6. Kapitel
»Bitte bleiben Sie bei mir«, sagte die junge Frau zu
Arved, als man sie auf dem Bett in eines der Krankenzimmer schob.
Zuerst hatte man sich in großer Hektik um ihren Mann
gekümmert und ihn sofort auf die Intensivstation gebracht. Sie
hatte ihn begleiten wollen, doch einer der Ärzte hatte sie
sanft, aber sehr bestimmt auf ein rasch herbeigeholtes Bett gelegt
und ihr den Puls gefühlt, dann ihren Pullover hochgezogen und
den Magen abgetastet.
Nun lag sie angezogen auf dem weißen Bett; eine
Krankenschwester saß auf einem Stuhl vor ihr und Arved stand am
Fußende. Es war ein Doppelzimmer, doch das zweite Bett war
nicht belegt. Die Krankenschwester, eine noch sehr junge Frau mit
stark geschminktem Gesicht, sah ihn zuerst zweifelnd an, dann nickte
sie. Sie nahm die Personalien der jungen Frau auf, und so erfuhr
Arved, dass sie Magdalena Meisen hieß, in Trier wohnte und
vierunddreißig Jahre alt war. Immer wieder fragte sie nach
ihrem Mann, doch die junge Krankenschwester blieb hart.
»Wir kümmern uns um ihn«, sagte sie. »Es war
richtig, dass Sie sofort zu uns gekommen sind. Es wird schon alles
wieder gut werden.«
Als der Arzt kam, bat er Arved hinaus. Draußen auf dem
schweigenden Gang mit den vielen Türen und dem leisen Geruch
nach Desinfektionsmitteln lief er auf und ab, die Hände hinter
dem Rücken verschränkt, und wartete. Er hasste
Krankenhäuser. Er hasste den Geruch, die langen, nur von
Neonlicht erhellten Gänge, die pflegeleichten, kalten
Fußböden, die Gegenwart von Leid und Tod.
Die Tür von Magdalena Meisens Zimmer öffnete sich; der
Arzt kam heraus und winkte Arved heran.
»Sind Sie ein Verwandter?«
Arved fand, dass der Arzt schrecklich jung aussah. Er hatte kaum
Bartwuchs; nur ein wenig Raum spross unter dem Kinn. Er trug eine
dicke Brille, unter der zwei rosige, runde Wangen leuchteten –
das blühende Leben. Arved erklärte, wie er die
Bekanntschaft des Ehepaares gemacht hatte. »Was hat die arme
Frau?«, fragte er.
Der Arzt schaute an ihm vorbei. »Das darf ich Ihnen nicht
sagen.«
Arved gab sich einen Stoß. »Ich bin Priester.«
Fast kam er sich wie ein Lügner vor. Doch eigentlich hatte er
Recht, denn die Suspendierung bedeutete nicht, dass er zum Laien
geworden war. Noch immer war er zum Beispiel der Pflicht unterworfen,
täglich das Brevier zu beten – eine Pflicht, die er heute
sträflich vernachlässigt hatte.
Beten – zu wem?
»Das ist natürlich etwas anderes; dann unterliegen Sie
wie ich der Schweigepflicht«, meinte der Arzt und legte Arved
kameradschaftlich einen Arm auf die Schultern. »Sie scheint
etwas Schlechtes gegessen zu haben. Sie sagte etwas von roten
Weintrauben. Wissen Sie etwas darüber?«
»Nein. Aber sie hat mir auch davon erzählt. Sie und ihr
Mann sollen die Trauben frisch gepflückt haben. Ich habe den
Strauch nicht gesehen. Vielleicht war irgendwas mit den Trauben nicht
in Ordnung.«
»Trauben? Zu dieser Jahreszeit? Außerdem sind ihre
Symptome nicht typisch für eine Magenverstimmung. Ihr Puls ist
extrem verlangsamt und sie hat hohes Fieber – wie ihr
Mann.« Der Arzt beugte sich Arved entgegen. »Wir werden ihr
gleich den Magen ausspülen, aber im Vertrauen gesagt, glaube ich
nicht, dass das hilft. Wenn es wie bei ihrem Mann ist…«
»Wie geht es ihm?«, wollte Arved wissen.
»Nicht so gut. Wir tun, was wir können. Er ist…
also… so etwas habe ich noch nie gesehen«, flüsterte
der Arzt.
»Können Sie das etwas näher erklären?«,
fragte Arved. Ihm war sehr unwohl. Was ging hier vor? »Als ich
ihn fand, schrie er, er verbrenne.«
»Er hat extrem hohes Fieber. Wir können es einfach nicht
stoppen. Aber wir werden uns um die beiden kümmern, so gut wir
können, das verspreche ich
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