Hexennacht
wartete,
bis sie ihr Auto aus der Parklücke gesetzt hatte, und fuhr dann
hinter ihr her. Sie hatte die Adresse des Bestattungsunternehmens an
sich genommen, dessen Lage ihr der Anrufer aus dem Krankenhaus
erklärt hatte. Als Arved ihrem Wagen folgte, bekam er Bedenken,
ob es gut gewesen war, sie ans Steuer zu lassen. Sie fuhr so schnell,
dass er Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Durch Großlittgen
brauste sie, als sei es eine Autobahn und nicht ein kleines Dorf.
In Minderlittgen war es nicht anders. Der silberne Golf
schlingerte durch die Kurven und Arved betete, dass nicht
zufällig ein Mensch oder Tier gerade in diesem Augenblick die
Straße überqueren wollte. Er war froh, als sie den Ort
hinter sich gelassen hatten. Die danach folgenden Serpentinen
hinunter ins Tal nach Wittlich wurden in beinahe unverminderter
Geschwindigkeit genommen. Arved spürte, wie der große
Bentley ausbrach und ins Schleudern geriet. Er ging vom Gas, was
alles noch schlimmer machte. Bald stand er quer auf der Fahrbahn und
die Böschung schoss heran. Er riss das Lenkrad herum und
unwillig änderte das Auto die Richtung. Nun hatte er sich einmal
um die eigene Achse gedreht und stand auf der Gegenfahrbahn. Rasch
wechselte er die Seite. Dann lenkte er den Wagen an den Rand und
holte erst einmal tief Luft.
Seine Handflächen waren glitschig vor Angstschweiß. Als
er sich ein wenig erholt hatte, wendete er und fuhr langsamer weiter
in Richtung Wittlich. Die Kurven umrundete er beinahe kriechend. Frau
Meisen würde schon irgendwo auf ihn warten. Hoffentlich.
Der Wald, durch den er nun fuhr, leuchtete in einem hellen
Grün, das wie ein Filter vor der Linse der Welt wirkte. Als er
den Wald wieder verließ, erhielt die Welt ihre Farben
zurück. Ganz hinten fuhr der silberfarbene Golf; er hatte
Wittlich schon fast erreicht. Magdalena Meisen schien nicht bemerkt
zu haben, dass sie Arved abgehängt hatte. Da die Straße
nun schnurgerade verlief, gab er Gas. Der große Wagen machte
einen Satz nach vorn und gewann beängstigend schnell an
Geschwindigkeit. Bald hatte er den kleinen VW eingeholt.
Das Beerdigungsunternehmen lag in einem vornehmen Wohngebiet
gegenüber dem Krankenhaus, von diesem nur durch eine
Straße und ein Wäldchen getrennt. Wie passend, dachte
Arved. Man lässt sich dort nieder, wo man die meiste Kundschaft
erwartet. Sie fuhren auf den Parkplatz neben dem großen, neuen
Bungalow, an dem in ruhiger Schrift die Profession des Bewohners
angezeigt war. Hinter dem Haus gab es einen Anbau, daneben eine lange
und hohe Garage.
Frau Meisen stieg aus – und knickte sofort ein. Arved sprang
aus seinem Wagen und eilte ihr zu Hilfe. Mit einem raschen Griff fing
er sie auf.
Er musste zweimal zupacken, denn beim ersten Mal hatte er den
Eindruck, als greife er nicht in Kleidung und Heisch, sondern in
Watte. Verwundert sah er die junge Frau an, die ebenso verblüfft
wie er selbst zu sein schien. Sie seufzte tief und klammerte sich an
ihm fest, als wolle sie sich ihrer eigenen Körperlichkeit
vergewissern.
Als sie sich wieder gefangen hatte, betraten sie das Haus. Sofort
wurden sie von einem jungen, würdig wirkenden Mann in gedeckter
Kleidung begrüßt. Er führte Magdalena Meisen und
Arved in ein kleines Besprechungszimmer, an dessen Wänden ruhige
Fotografien von Sonnenuntergängen sowie Diplome bestandener
Thanatopraktiker-Lehrgänge hingen. Thanatopraktiker,
Todespraktiker – was für ein Wort. Arved wusste nicht, ob
er darüber schmunzeln oder sich davor erschrecken sollte.
Der Bestatter schaute Arved zwar neugierig an, unterließ
aber jegliche Frage nach seiner Beziehung zu der jungen Frau. Er
zeigte ihr Kataloge von Särgen sowie von Blumenschmuck und
großen, schmiedeeisernen Kerzenleuchtern.
Trau Meisen wählte aus, indem sie einfach auf die
betreffenden Bilder tippte. Sie schien kaum zu bemerken, was sie
tat.
»Wie soll die Anzeige aussehen? Wünschen Sie eine im Trierischen Volksfreund? Wie viele Anzeigen sollen wir
drucken?«, fragte der junge Mann mit betont leiser und
einschmeichelnder Stimme. Er schaute sein Gegenüber eindringlich
an. Ihm schien zu gefallen, was er da sah.
Frau Meisen schenkte ihm einen verständnislosen Blick.
»Anzeigen?«
»Für Ihre Verwandten und Freunde.«
»Freunde?«
Es versetzte Arved einen Stich. Sollte das Ehepaar Meisen wirklich
keine Freunde gehabt haben? Keine Verwandten? Welche Einsamkeit
umwebte diese Frau?
Sie suchte eine Karte aus und gab davon zwanzig Exemplare in
Auftrag. Als
Weitere Kostenlose Bücher