Hexennacht
habe.«
»Sind Sie nicht neugierig?«
»Meine Neugier hält sich in Grenzen. Ich vermute, es
handelt sich um eine ansteckende Krankheit oder so etwas.«
Arved lehnte sich wieder zurück und faltete die Hände
über dem schwarzen Jackett. »Gibt es Krankheiten, die auch
zwei Tage nach dem Tod noch virulent sind?«, fragte er
zweifelnd.
Der junge Mann zuckte die Achseln.
Arved sah, wie seine Entschlossenheit zu bröckeln begann. Er
schlug die Beine übereinander und rieb sich das Kinn.
»Sollten wir nicht gemeinsam nachschauen? Vielleicht wäre
es ja doch möglich, dass Frau Meisen von ihrem Gatten Abschied
nehmen kann.«
»Ich weiß nicht… Schließlich ist es
verboten.«
»Seit wann können Ärzte ein rechtlich bindendes
Verbot aussprechen?«, gab Arved zu bedenken. Er kam sich
reichlich keck vor, doch nun wollte er unbedingt Licht in das Dunkel
bringen. Der Gedanke, dass Frau Meisen ihren Mann vielleicht doch
noch einmal sehen konnte, spornte ihn an. Es würde ihr die
Trauerbewältigung erleichtern. Und das war es wert. »Ich
finde, wir sollten uns darüber hinwegsetzen. Was ist, wenn die
Ärzte nur einen Kunstfehler vertuschen wollen? Haben wir nicht
sogar die Pflicht, uns zu vergewissern?«
Der Bestatter massierte sich die Unterlippe. »Es kam mir
gleich so komisch vor«, sagte er wie zu sich selbst. Dann stand
er auf. »Kommen Sie.«
Arved erhob sich so rasch, als habe er auf einer Sprungfeder
gesessen. Der Bestatter führte ihn in den hinteren Anbau, in dem
sich offenbar die Kältekammern befanden. Er öffnete eine
schwere Eisentür, die einen großen Riegel als Klinke
hatte. Als die Tür aufschwang, trat kalte Luft heraus und
bildete ziehenden Nebel. »Man hat mir dringend empfohlen, die
Kühltemperatur noch weiter herabzusetzen«, sagte er.
»Wir sollten uns schützen.«
Von einem Regal neben der Tür nahm er zwei Kittel, die wie
die der Chirurgen aussahen, sowie zwei Einweghandschuhe und zwei
Masken. Die beiden Männer streiften sich alles über und
betraten die Kammer.
In der hinteren Wand waren acht Abteile, wie man sie aus der
Pathologie in Kriminalfilmen kannte. Der Bestatter zog das unterste
ganz rechts auf und rollte die Bahre heraus. Darauf lag nicht die
Leiche, wie es üblich gewesen wäre, sondern ein recht
schmaler und erstaunlich kurzer Zinksarg.
Arveds Erinnerung zufolge war Jürgen Meisen erheblich
größer gewesen. Wie konnte sein Leichnam in diesen kleinen
Sarg passen, der beinahe wie ein Kindersarg wirkte?
Der Bestatter untersuchte die Plomben und Schrauben, dann sagte er
gedämpft: »Ich muss Werkzeug holen. Bitte warten Sie
hier.« Schon war er verschwunden. Die Tür hatte er hinter
sich geschlossen.
Arved versuchte, seine aufkommende Angst zu bekämpfen. Das
tresorartige Klacken, als die Tür ins Schloss gefallen war,
behagte ihm überhaupt nicht. Nun war er hier gefangen. War das
alles ein Komplott? Steckte der Bestattungsunternehmer mit den
Ärzten unter einer Decke? Sollte Arved als allzu Neugieriger
einfach von der Bildfläche verschwinden? Arved versuchte unter
seiner Maske zu lächeln. Das waren paranoide Gedanken. Nicht zu
leugnen allerdings war, dass ihm immer kälter wurde.
Er ging zur Tür und rüttelte an ihr. Sie gab nicht nach.
Er drehte sich wieder um. Was mochte sich in dem verschlossenen Sarg
befinden? Würde er es je erfahren? Was wäre, wenn nun sein
Tod nahte? Wäre es wirklich so schlimm? Doch. Es gab etwas,
wofür er weiterleben wollte. Magdalena Meisen. Ihr Seelenheil.
Ihr Friede. Das war nun seine Aufgabe. Eine, die sich ihm ungebeten
gestellt hatte.
Die Tür klackte und öffnete sich leise. Der Bestatter,
der in seiner Schutzkleidung wie ein Wissenschaftler wirkte, der
kontaminiertes Gebiet betritt, stellte sich mit einem elektrischen
Schraubenzieher und einem Seitenschneider neben den verplombten Sarg.
Zuerst kniff er die Plomben durch, dann löste er die
Schrauben.
»Helfen Sie mir bitte, den Deckel abzunehmen«, sagte er
durch seine Maske. Es klang wie aus einer fremden Welt.
Arved packte am Fußende an. Sein Herz raste. Was würde
er gleich zu sehen bekommen? Er hoffte inständig, dass es ein
Anblick war, den man Frau Meisen zumuten konnte, damit sie endlich in
der Lage war, von ihrem Gatten Abschied zu nehmen.
Nun schwebte der Deckel, gehalten von zwei Paar Händen, knapp
über dem Zinksarg. Mit einer gleichmäßigen Bewegung
setzten die beiden Männer ihn rechts neben dem Sarg auf dem
Boden ab. Dann richteten sie sich wieder auf und warfen
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