Hexennacht
sie wieder auf der Straße standen, sagte Frau
Meisen zu Arved: »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Jetzt
muss ich allein zurechtkommen. Ich habe Sie schon zu sehr
beansprucht.« Ohne ihm die Hand zu reichen, ging sie zu ihrem
Golf.
Arved sah ihr nach. Für einen Augenblick hatte er den
Eindruck, als verschwimme ihr Bild vor seinen Augen. Sie schwankte
leicht, hatte sich sofort wieder gefangen, ging weiter wie in eine
andere Welt hinein. Sie stieg in den Wagen und fuhr ab. Er seufzte
und begab sich zu seinem Bentley, der wie eine große, müde
Raubkatze auf dem für ihn beinahe zu kleinen Parkplatz wartete.
Zurück nach Trier. Zurück in das große, zugige,
dunkle und feuchte Haus mit den Rissen in den Wänden und dem
abblätternden Stuck an den Decken.
Zurück zu Lilith und Salomé.
Das wollte er nicht. Als er im Wagen saß und das Aroma von
Leder und Holz einatmete, dachte er über die merkwürdigen
Geschehnisse der letzten zwei Tage nach. Was war mit Jürgen
Meisen passiert? Warum hatte seine Frau den Toten nicht mehr sehen
dürfen? Arved schüttelte den Kopf und startete den Motor.
Das alles ging ihn nichts an. Er setzte rückwärts aus der
Parklücke und fuhr in Richtung Zentrum. Im Rückspiegel sah
er das große Krankenhaus wie ein unförmiges Tier am Berg
über der Stadt hocken. Was war dort geschehen? Das ist nicht
deine Sache, sagte er sich immer wieder, doch die Rätsel, die in
sein Leben eingebrochen waren, liefen ihm nun hartnäckig nach.
Als er schon am Busbahnhof war, wendete er plötzlich den Wagen
und fuhr zurück zum Krankenhaus.
Bald stand er vor dem Zimmer 211, in dem Magdalena Meisen gelegen
hatte. Was tat er hier überhaupt? Warum war er
zurückgekommen?
»Kann ich Ihnen helfen?«
Er zuckte zusammen und drehte sich um. Eine junge Schwester,
klein, mit kecker Nase und Sommersprossen lächelte ihn an.
»Sie sehen so hilflos aus.«
Das hast du gut erkannt, dachte Arved. Du weißt gar nicht,
wie sehr du damit Recht hast. »Ich bin der Seelsorger von
Magdalena Meisen«, erklärte er nicht ganz der Wahrheit
entsprechend.
»Wie geht es ihr?«, fragte die Schwester. »Die
Ärmste. Sie war ja ganz durch den Wind.«
»Sie steht noch unter Schock«, sagte Arved und hielt den
Kopf leicht schief. Ein Gemeindemitglied hatte ihm einmal
spöttisch gesagt, dass er in dieser Haltung ganz besonders
salbungsvoll aussehe. Er selbst kam sich eher wie ein sich
schlängelnder Aal vor. »Vor allem macht sie sich viele
Gedanken darüber, was mit ihrem Mann passiert ist.«
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht der Krankenschwester.
»Das weiß ich auch nicht«, sagte sie, drehte sich
rasch um, lief den Gang hinunter.
»Warten Sie«, rief Arved und eilte ihr nach.
»Keine Zeit«, tönte es von vorn.
Schon war die Schwester in einem Patientenzimmer verschwunden,
über dessen Tür kein Licht aufleuchtete. Arved stand allein
in dem langen, nach Desinfektionsmitteln riechenden Gang. Als er in
Richtung des Treppenhauses ging, kam ihm ein junges Mädchen in
einem nicht mehr ganz sauberen Schwesternkittel entgegen. Sie wirkte
sehr blass und trug einen Nasenring. Ihr Blick war so entsetzlich
jung und verletzlich. Sie wirkte, als wolle sie mit jemandem reden.
Er glaubte, sie bereits gestern hier gesehen zu haben. Eine
ältere Schwester hatte ihr dies und das erklärt: offenbar
eine Schwesternschülerin. Er nickte ihr freundlich zu und
erhielt dafür ein scheues Lächeln.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, sprach er sie an.
Ihr Lächeln wurde etwas fester und plötzlich hielt sie
den Kopf genauso erwartend schief wie er.
»Ich bin der Seelsorger von Frau Meisen«, stellte er
sich vor. »Sie ist außer sich, weil sie nicht erfahren
durfte, was mit ihrem Mann passiert ist, und weil man ihr nicht
einmal erlaubt hat, von ihm Abschied zu nehmen. Sie möchte
unbedingt erfahren, woran er eigentlich gestorben ist; sonst findet
sie keine Ruhe.«
»Da müssen Sie den Arzt fragen«, meinte die
Schwesternschülerin unsicher.
»Das wollte ich auch, aber im Augenblick ist er zu sehr
beschäftigt.« Arved schaute den Gang hinunter und sah einen
der kleinen Rollwagen mit den Patientenunterlagen vor einem der
Zimmer stehen, über dem eine grüne Lampe brannte.
»Visite, glaube ich. Können Sie mir nicht weiterhelfen? Ich
muss Frau Meisen etwas sagen, das sie beruhigt. Ansonsten dreht sie
noch durch, was ja nicht unverständlich ist.«
Die Schwesternschülerin nagte an ihrer Unterlippe. »Ich
weiß nichts«, sagte sie zögerlich, und
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