wäre mein Erbe los.« Er schaute das Tier lange an. Ihre
Blicke trafen sich. »Außerdem wäre es doch schade um
dich«, murmelte er. Dann nahm er den Hörer des altmodischen
Telefons ab und drehte die Wählscheibe.
Jochen Martins Nummer.
Zuerst war andauernd besetzt, und als er endlich das Freizeichen
hörte, nahm lange niemand ab. Schließlich meldete sich
eine weibliche Stimme und nannte einen unverständlichen
Namen.
»Ich möchte gern Jochen Martin sprechen«, sagte
Arved mit trockenem Mund.
»Martin?« Arved hörte Rauschen und Knistern in der
Leitung. Die Frau hatte den Hörer offenbar irgendwo gegen
gedrückt, denn nun rief sie aus vollen Hals, was gedämpft
zu Arved durchdrang: »He, Jungs, hat jemand den Indianer
gesehen?« Gemurmel antwortete ihr. Es raschelte wieder und sie
sprach in die Muschel: »Tut mir Leid, der musste schnell mal
weg. Kann ich was ausrichten?«
»Wann wird er zurück sein?«
»Weiß nicht.«
»Dann rufe ich später noch mal an.« Am anderen Ende
wurde rascher aufgelegt, als Arved Luft holen konnte. Vorsichtig
drückte er den Hörer auf die Gabel.
Indianer! Dieser Martin schien eine schillernde
Persönlichkeit zu sein. Unter anderen Umständen wäre
Arved gern noch einmal mit ihm zusammengekommen.
Nach einer halben Stunde versuchte er es erneut. Wieder war die
Frau von vorhin am Apparat. »Ja, der ist jetzt hier. He,
Indianer, komm endlich her. Hier will jemand was von dir.«
Arved hörte Martins Stimme im Hintergrund; ein Kommentar von
ihm wurde mit schallendem Gelächter quittiert, dann wechselte
der Hörer die Hand.
»Ja bitte?«
Arved stellte sich vor.
Martin wusste sofort, worum es ging. »War den ganzen Morgen
deswegen unterwegs, Sportsfreund. Habe alle Kontakte heißlaufen
lassen und so weiter.« Es folgte eine bedeutungsschwere
Stille.
»Haben Sie etwas erreicht?«, fragte Arved ungeduldig und
zwirbelte die Schnur seines Hörers.
»Unmöglich, die Adresse auch nur von einem von denen
herauszufinden«, meinte Martin. »Aber ich habe so etwas wie
eine Kontaktadresse. Sie müssen aber einen verdammt guten Grund
haben, um sich an die zu wenden, glauben Sie mir. Ich warne Sie noch
einmal. Das ist ein Spiel mit dem Feuer.«
»Was ist das für eine Adresse?«
»Eine Web-Adresse.«
»Eine – was?«
»Eine Internet-Adresse. Computer und so weiter. Kennen Sie so
etwas?«
»Natürlich«, brummte Arved in die Muschel.
»Dann schreiben Sie mit. Die Mail-Adresse lautet:
[email protected]. Genau wie die Hexe. Sehr witzig, nicht
wahr? Mehr kann ich leider nicht für Sie tun. Ich hoffe, das
reicht. Grüßen Sie Lioba.« Er hatte aufgelegt.
Arved seufzte. Er hatte zwar schon einmal einen Computer bedient,
aber E-Mails waren für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Vor
allem besaß er keinen eigenen Computer.
Aber er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um
mit dieser Adresse in Kontakt zu treten.
21. Kapitel
Arved erinnerte sich, in der Thalia-Buchhandlung öffentliche
Computer gesehen zu haben, vor denen meistens ziemlich junge Benutzer
saßen und durch das Internet surften. Er hatte zwar keine
Ahnung, wie man mit einem solchen Gerät umging, aber vielleicht
fand er jemanden, der so freundlich war, es ihm zu erklären.
Als er gerade gehen wollte, klingelte es an der Haustür.
Salomé gesellte sich zu Lilith; beide strichen um Arveds Beine
herum. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit, damit die
Katzen nicht entwischen konnten. Als sie allerdings sahen, wer vor
der Tür stand, huschten sie ohnehin weg und wurden eins mit den
Schatten der Diele.
»Ich wollte sehen, wie es dir geht«, sagte Ulrich
Schwarz.
»Ganz gut, vielen Dank. Ich bin gerade auf dem Weg in die
Stadt.«
»Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich ein
Stück.«
Arved hatte nichts dagegen.
Gemeinsam gingen sie zur Paulinstraße und auf die Porta
Nigra zu. Das riesige römische Stadttor war Arved schon immer
wie ein Fremdkörper inmitten der neben ihm modern wirkenden
Häuser erschienen. Selbst das mittelalterliche Simeonstift
dahinter war wie aus einer anderen, näheren Welt. Seit
eintausendachthundert Jahren schauten die schwarz gewordenen Steine
auf die Straßen der Stadt hinunter. Andere Zeit, andere Welt.
Doch so vieles war gleich geblieben. Auch in römischer Zeit
glaubte man an das Übernatürliche, an Götter und
Dämonen. Arved lief schweigend neben Ulrich her, der immer
wieder an seinem engen Priesterkragen nestelte. Heute war es zum
ersten Mal in diesem Jahr