Hexennacht
»Keineswegs. Ich bin
nicht in offizieller Mission hier. Eigentlich bin ich sogar kein
richtiger Priester mehr. Zumindest kein Pfarrer. Man hat mich
suspendiert.«
»Mein Beileid.« Es klang nicht sehr ernst gemeint.
»Man hat mich des Pfarramtes enthoben, weil ich meine starken
Glaubenszweifel öffentlich geäußert habe.«
Martins Gesicht hellte sich auf. Er grinste verschmitzt. »Na,
jetzt werden Sie mir gleich viel sympathischer. Verstehen Sie mich
nicht falsch. Ich glaube an Gott, aber mit seinem Bodenpersonal habe
ich noch nie sehr viel anfangen können. Ich habe aber immer noch
keine Ahnung, weshalb Sie hier sind.«
»Lioba Heiligmann dachte, Sie…« Weiter kam er
nicht.
Martin klatschte in die Hände. »Lioba! Sie kennen Sie?
Mann, das hätten Sie eher sagen sollen. Sind Sie ein Freund von
ihr?«
Ein Freund? Er dachte an sie: an ihre unmöglichen Kleider, an
die klobigen Wanderstiefel, an die von Silber durchzogenen Haare, an
das leichte Make-up beim letzten Treffen, an ihr Lächeln…
»Ja, das kann man so sagen. Sie hat mir bei meiner Suche bisher
sehr geholfen.«
»Lioba ist die tollste Frau, die mir bisher begegnet
ist«, schwärmte Martin. »Außer meiner eigenen
natürlich, aber das ist etwas ganz anderes. Mit Lioba kann man
eine Menge seltsamer Dinge erleben. Ich habe sie auch für mein
Buch kontaktiert und sie hat mir viele Hinweise gegeben. Wenn Lioba
Sie schickt, können Sie kein schlechter Kerl sein – nichts
für ungut. Also, was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Kontakt mit dem Satanistenzirkel aufnehmen,
den Sie im letzten Jahr im Kunowald belauscht haben.«
»Warum? Warum wollen Sie sich die Finger an solchen Leuten
schmutzig machen?«, fragte Martin verächtlich.
»Das ist schwierig zu erklären…« Das ist gar
nicht zu erklären, dachte Arved. »Am besten versuche ich es
gar nicht. Ich kann Ihnen nur versichern, dass ich nichts
Ungesetzliches vorhabe und mich auch auf keinem Rachefeldzug oder
etwas in der Art befinde.«
Martin drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und sah
seinen Gast zweifelnd an. »Sie sollten etwas offener zu mir
sein.«
»Ich bin kein Okkultist. Es geht mir darum, dass sich diese
Leute offensichtlich in der letzten Walpurgisnacht vor einigen Tagen
wieder in der Hütte im Kunowald getroffen haben. Zufällig
sind… ist eine Bekannte von mir in die Veranstaltung geplatzt,
ohne zu bemerken, was da vor sich ging. Das hat gewisse…
Konsequenzen nach sich gezogen, die vermutlich nur diese Leute wieder
rückgängig machen können. Ich weiß, dass ich
mich sehr seltsam anhöre, aber anders kann ich es Ihnen nicht
erklären.«
Es war ein regelrechter Eiertanz. Sollte er doch die ganze
Wahrheit sagen? Auch auf die Gefahr hin, dass J. W. Martin ihm dann
gar nichts mehr mitteilen würde, weil er ihn für einen
gefährlichen Spinner hielt?
Der Journalist stand auf. »Ich habe ein Faible für
Seltsamkeiten«, meinte er und durchstöberte das Regal
hinter seinem Schreibtisch. »Schließlich bin ich nicht nur
Journalist beim Kölner Rundblick, sondern auch Dichter
und als solcher sozusagen von Haus aus auf der Suche nach dem
außergewöhnlichen Blick auf das Gewöhnliche.« Er
zog eine schmale Broschüre heraus und reichte sie Arved.
Die Welt des Jenseits, dargestellt von einem Eingeweihten, stand auf dem papiernen Umschlag.
»Die hat einer der Teufelsbündler geschrieben. Sie
können sie mitnehmen. Wirres Zeug über den Teufel und so
weiter. Habe versucht, an die Identität des Kerls heranzukommen,
bin aber gescheitert.«
Arved drehte die Broschüre in der Hand und wagte nicht, sie
aufzuschlagen. »Und die anderen?«, fragte er. »Gibt es
keine Hinweise auf deren Identität?«
Martin setzte sich wieder und stützte den Kopf in die
Hände. »Nein. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die sich
untereinander kennen. Insgesamt sind es sechs. Diese Typen legen
großen Wert auf Geheimhaltung. Es gäbe da vielleicht aber
noch eine Möglichkeit. Dazu müsste ich allerdings in die
Redaktion gehen. Übermorgen fahre ich wieder nach Köln.
Rufen Sie mich da an, unter der folgenden Nummer.« Er riss ein
Stück Papier von einem Notizblock und reichte es Arved.
»Muss dafür ein paar Telefonate machen und ein paar Leute
fragen und so weiter. Grüßen Sie Lioba ganz herzlich von
ihrem Jochen. Das tun Sie, ja?« Er stand auf und reichte Arved
die Hand.
Nach einem festen Händedruck war er entlassen.
* * *
Zu Hause wagte er es endlich, die Broschüre
durchzublättern. Es
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