Hexennacht
erschlug ihn beinahe. Es war, als stehe er in einem
gewaltigen Dom oder in einer Höhle von unvorstellbaren
Ausmaßen. Er trat von einem Bein auf das andere, das Resultat
war ein vertausendfachtes Poltern wie von einem Erdrutsch. Er wagte
nicht mehr, sich zu rühren. Allein sein Atmen war das
Ächzen und Jaulen von Tausenden gequälter Seelen. Was
gäbe er um Licht! Er tastete hinter sich und suchte nach der
Tür, von der er sich kaum einen halben Meter entfernt haben
konnte. Aber da war keine Tür mehr. Es war wie draußen im
Nebel: Alle Richtungen und Entfernungen hatten sich verrückt.
Waren verrückt. Verrückt. Er ging einfach los.
Schritt für Schritt polterte und donnerte es von den
unsichtbaren Wänden herunter. Es dauerte lange, bis er weit vor
sich einen rötlichen Schimmer sah. Als er ihm näher kam,
bemerkte Arved, dass es eine brennende Pechfackel war, die jemand auf
einem Ständer befestigt hatte. Arved stellte sich vor sie,
schaute in das rote Licht wie ein Ertrinkender auf den rettenden
Strand und nahm die Fackel aus der Halterung. Er schwenkte sie, lief
hierhin, dorthin, aber überall bot sich ihm nur das Bild von
Schwärze. Immerhin konnte er jetzt den Boden unter seinen
Sandalen erkennen. Es war glatter, schwarzer, feucht glitzernder
Felsboden. Keine Spur von Teppich, von Zimmerboden, von menschlicher
Bearbeitung. Er ging weiter.
Recht schnell, überraschend schnell kamen von rechts und
links Wände auf ihn zu, und auch die Decke wurde sichtbar und
senkte sich. Es war, als laufe er in einen waagerecht liegenden
Trichter hinein, bei dem nur der Boden gerade blieb. Am Ende des
Trichters führte eine Treppe nach unten.
Arved leuchtete mit der Fackel hinunter. Er sah nichts als Stufen,
die einen Schacht hinunterliefen. Es gab keinen anderen Weg, keine
Umkehr, das wusste er. Also machte er sich an den Abstieg.
Er wusste nicht, wie lange er Stufe nach Stufe die Treppe
hinuntergestiegen war, die unbekannte Hände in den nackten Fels
geschlagen hatten, doch irgendwann kam er in einen schmalen Gang,
nicht breiter als die Treppe. Dieser Gang war mit Tannennadeln
bedeckt. Arved rieb sich die Augen, dann bückte er sich. Er
hatte sich nicht geirrt, es waren Tannennadeln. Weich federten seine
Schritte über den Boden, so weich, als hätte es nie eine
Härte etwelcher Art gegeben. Auch dieser Weg verengte sich,
sodass Arved sich bald zwischen den Wänden hindurchquetschen
musste. Sie wirkten warm und weich.
Seine Fackel erlosch. Doch sie war nicht mehr nötig.
Silbernes, kaltes Mondlicht spielte durch einen Spalt, der das Ende
des Tunnels markierte. Arved zwängte sich hindurch und stand
inmitten hoher Bäume, deren Kronen in leisem Winde raunten und
die vom Mondlicht umkost wurden. Er rieb sich die Augen und starrte
auf die erloschene Fackel in seiner Hand. Sie glomm nicht mehr, war
nichts anderes als ein abgestorbener Ast, den einmal Feuer versengt
hatte, vielleicht von einem Blitz. Er warf den Ast fort und schaute
sich um. Nirgendwo sah er eine Höhle, eine Grotte oder etwas
Ähnliches. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, woher
er gekommen war.
Über ihm raschelte es. Er schaute hoch in das Geäst
einer Kiefer. In den Zweigen saßen große Schemen. Eulen.
Das Mondlicht spielte in ihren großen, gelben Pupillen. Arved
wich vor ihnen zurück wie vor einer dunklen Bedrohung. Er
schlang die Arme um sich, denn es war empfindlich kalt. Wenigstens
herrschte kein Nebel mehr. Benommen stolperte er durch den Wald.
Er hörte etwas hinter sich. Etwas raschelte durch das
Unterholz. Arved wirbelte herum. Sah nichts. Lief los. Etwas kam auf
ihn zu. Eine unsichtbare Gefahr. Es schoss an ihm vorbei. Zwei
Schatten. Augen, ähnlich denen der Eulen, grün jedoch,
blitzten ihn an. Arved atmete auf und hätte beinahe laut
gelacht.
Es waren seine beiden Katzen. Sie sahen ihn an, miauten und liefen
weiter. Kein Zweifel, sie wollten ihn führen. Er folgte ihnen
durch das Unterholz. Bäume griffen mit ihrem Gezweig nach ihm,
Ranken schlangen sich ihm um Beine und Füße, doch nicht
ein einziges Mal stürzte er. Immer wieder hielten Lilith und
Salomé an und schauten, ob er ihnen folgte. Dann huschten sie
weiter, bis sie auf einen Wanderweg kamen, auf dem sie den Wald bald
verließen. Es ging zwischen Obstwiesen hindurch, die mit
Stacheldraht vom Weg abgesperrt waren. Bald sah Arved in der Ferne
etwas Massiges, Dunkles im Mondschein aufleuchten. Es war sein Auto.
Im Laufen seufzte er auf. Die letzten Meter nahm er
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