Hexennacht
zu
bestehen – aus dunkel getöntem Glas. Arved lauschte. Nicht
der geringste Laut drang in diesen Innenhof, in dem sich außer
dem Cadillac nichts befand. Nicht einmal Staub oder Laub schien sich
hier ansammeln zu wollen.
Die beiden Polizisten führten Arved in den Backsteinbau.
Sobald sie ihn betreten hatten, flammten überall Neonleuchten
auf: an der Decke, an den Wänden und sogar unter einer dicken
Glasplatte im Boden. Das Gebäude schien verlassen zu sein. Die
Korridore waren leer und das ungefilterte Licht war schmerzhaft. Die
Polizisten hatten Arved nun wie einen Verbrecher zwischen sich
genommen. Sie liefen Gänge entlang, stiegen über Treppen,
bogen um Ecken, betraten neue Korridore. Überall herrschte das
grelle Licht; nirgendwo war eine der Neonröhren defekt oder gar
ausgefallen. Perfekt.
Endlich blieben sie vor einer Tür stehen. Der Schnauzbart
klopfte, während der Tätowierte plötzlich Arveds Arme
packte und sie hinter seinem Rücken zusammenhielt.
»Herein«, donnerte es hinter der Tür. Der
Schnauzbart schien plötzlich großen Respekt zu
verspüren – oder vielleicht sogar Angst zu haben. Er
öffnete die Tür behutsam so weit, dass er
hindurchschlüpfen konnte, während der Tätowierte mit
Arved in dem lichtdurchfluteten Korridor wartete. Nach einigen
Minuten wurde die Tür endlich ganz geöffnet und der
Tätowierte drückte Arved unsanft in den Raum.
Es war ein sehr modern und kalt eingerichtetes Zimmer.
Thonetstühle standen um einen Glastisch in einer Ecke des
Zimmers, und an den unverputzten Backsteinwänden hing moderne
abstrakte Kunst. Ein weißer Teppich bedeckte den Boden, in den
hier keine Neonröhren eingelassen waren. Vor einem hohen
Fenster, das nur den Raum widerspiegelte, stand ein riesiger
gläserner Schreibtisch mit einem barocken Stuhl dahinter. Und
auf diesem Stuhl saß jemand, den Arved kannte.
Es war ein Mann in einem karierten Baumwollhemd und mit Sandalen
an den bloßen Füßen. Er fuhr sich mit der Hand durch
die braune Löwenmähne und lächelte Arved an. »Da
haben wir ja unseren Flüchtigen«, sagte er und fügte
gütig hinzu: »Da draußen wäre es Ihnen nicht gut
ergangen, glauben Sie mir.« Er wies Arved keine Sitzgelegenheit
an. Die beiden Polizisten blieben neben ihm stehen.
Der Löwe fuhr fort: »Hier ist Ihre Akte. Ich habe sie
natürlich sorgfältig gelesen.« Dabei klopfte er auf
einen dicken roten Aktendeckel, aus dem viele, teils sehr stark
gebräunte Papiere herausschauten. »Ich sehe leider keine
andere Möglichkeit, als Sie für diese Nacht bei uns zu
behalten. Es besteht Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Der Haftrichter
war einer Meinung mit mir; hier ist der Haftbefehl.« Er zog
blind einen rosafarbenen Zettel aus dem Aktenhaufen, schwenkte ihn
kurz in der Luft und steckte ihn wieder zurück.
»Aber Sie können mich doch nicht einfach
einsperren«, wehrte sich Arved. »Was habe ich denn
getan?«
»Was Sie getan haben?«, meinte der Löwe. »Wenn
Sie das nicht wissen, ist es sehr schlimm. Ich habe den Eindruck,
dass Sie oft nicht wissen, was Sie tun. Die Welt ist für Sie ein
undurchdringliches Labyrinth, nicht wahr?«
Das stimmt nicht, wollte Arved antworten, das stimmt schon lange
nicht mehr. Ich habe meinen Platz gefunden, auch wenn
früher… Aber er sagte kein Wort.
»Glauben Sie nicht, dass ich Ihr Feind bin«, sagte der
Löwe gütig. »Am liebsten würde ich diese ganze
Akte verbrennen und Sie nach Hause schicken.« Er warf einen
Blick auf die vielen Zettel und seufzte. »Aber das kann ich
nicht. Ich kann Ihnen nur versprechen, dass wir alles tun werden, um
den Fall zu klären. Wissen Sie, ich bin von Ihrer Unschuld
überzeugt.«
Arved dachte an sein Erlebnis in dem Gasthaus und fragte sich, ob
der Löwe unter den Richtern gewesen war. Zumindest standen seine
Worte im Widerspruch zu dem Verfahren in jener Nacht. Arved
schüttelte den Kopf. Er begriff gar nichts mehr.
»Sie schütteln den Kopf?«, fragte der Löwe.
»Sie wollen mir damit sagen, dass Sie selbst nicht von Ihrer
Unschuld überzeugt sind? Das ist schade, denn das ist ja beinahe
ein Schuldeingeständnis. Das muss ich protokollieren.« Er
zog aus der Akte einen nur halb beschriebenen Zettel hervor, der so
verknittert und gebräunt war, dass er schon sehr alt sein
musste, und schrieb mit einem dicken Füllfederhalter rasch etwas
auf.
»Nein«, warf Arved ein. »Ich wollte keine Schuld
eingestehen. Ich habe aus einem ganz anderen Grund den Kopf
geschüttelt.«
Der Löwe
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