Hexensabbat
Essen verkommen zu lassen, sie wollte nicht umsonst zwei Stunden in der Küche gestanden haben. Sie nahm das Fleisch aus der Folie und löste den Garnfaden, dann schnitt sie vorsichtig den mit Hack und frischen Kräutern gefüllten Braten auf.
Als sie ins Eßzimmer zurückkam, um den Tisch zu decken, telefonierte Till. Er stand mit dem Rücken zu ihr, er sprach sehr leise, trotzdem fand Anna seine Stimme seltsam. Irgendwie seltsam, so redete er bestimmt nicht mit Leuten von der Firma, und mit Freunden auch nicht. Wer war dran, hätte sie am liebsten gefragt, er hatte das Gespräch fast sofort beendet, doch sie verkniff sich die Frage, weil sie das selbst unmöglich fand.
Till drehte sich zu ihr um und sagte: »Entschuldige, ich räume das sofort weg.«
»Was?« Anna sah ihn an.
Er zeigte auf den Eßtisch.
»Ach so«, sagte Anna.
»Möchtest du einen Wein zum Essen trinken?«
»Gern«, antwortete sie. Zu einem guten Essen gehörte ein guter Wein, Anna mochte das, und Till schien auch wieder besser gelaunt zu sein. Trotzdem!
Während des Essens war Till ausgesprochen zuvorkommend. Er schenkte ihr nach, lobte das Fleisch und die Füllung, plötzlich hatte er doch Appetit, er kam nicht einmal auf die Idee, den Fernseher anzuschalten. Anna war schon beim dritten Glas. Als sie aufstehen wollte, um das Geschirr hinauszutragen, kicherte sie: »Hui!«
»Bleib sitzen! Ich mach das schon!« Till räumte den Tisch ab. »Du verträgst wirklich nichts«, sagte er, und dann schaltete er die Nachrichten ein. Er setzte sich auf das Sofa, wo er immer saß, es war ein Zweisitzer. Anna rappelte sich von ihrem Stuhl hoch und setzte sich neben ihn, obwohl ihr Lieblingsplatz der Ohrensessel war. Natürlich war sie nicht wirklich blau, nur ein bißchen angesäuselt, eigentlich war das sogar sehr angenehm.
Bei der Wettervorhersage schmiegte sie sich an Till, kätzchenhaft, er griff nach der Fernbedienung und schaltete auf ein anderes Programm um, sonst tat er nichts. Sie verstärkte den Druck auf seine Schulter und ließ schließlich die Hand auf seinen Oberschenkel gleiten, zuletzt ruckte sie mit dem Oberkörper nach und lag auf seinem Schoß.
»Du wirst mir zu schwer«, sagte er und knipste wieder mit dem Programmding herum. »Schau dir das an. Der nackte Wahnsinn.« Im Regionalprogramm berichteten sie wieder über das Hochwasser, der Rhein hatte die Altstadt überschwemmt, nun pumpten sie die Straßen und die Keller frei.
»Ich kann’s bald nicht mehr hören und sehen«, murmelte Anna. »Irgendwie ist mir nach einer anderen Überschwemmung.« Sie rieb sanft über seine Hose, die noch völlig flach war an der bewußten Stelle, aber das konnte sich ändern. Sie rieb etwas heftiger. Nichts. Sie sah kurz zu ihm auf, sein Kinn und sein Mund sahen sehr kantig aus von unten, und seine Augen starrten unentwegt auf den Fernseher.
»Hör auf!« Er packte ihre Schultern und schob sie zur Seite, auf den Platz neben sich. »Damit erreichst du gar nichts«, fügte er hinzu. »Höchstens das Gegenteil.«
»Du tust so, als ob ich irgendeine Ferkelei im Sinn hätte. Ich will endlich wieder mit dir schlafen, das ist alles.«
»Findest du diese Art der Annäherung sehr geschickt?«
»Wie wär’s dir denn lieber? Mit Strapsen? Weihnachten ist öfter.«
»Ich mag nicht von dir unter Druck gesetzt werden. Du erinnerst mich an deine Schwester Marie. Die zieht ihren Typen garantiert auch die Hosen aus, wenn ihr danach ist. Nicht mit mir! Ich will da auch noch etwas mitzureden haben.« Er drückte auf »aus«, das Bild des Rheinufertunnels verschwand von der Mattscheibe, dann stand er auf. »Ich schau mir das mal in natura an«, sagte er.
»Du willst jetzt noch zum Rhein runter?«
»Warum nicht? Ich werde garantiert nicht der einzige sein.«
»Eben. Ich hasse diesen Katastrophentourismus.«
»Du spinnst. Schließlich lebe ich in dieser Stadt.«
»Dann lauf mal schön! Gestern zum Kegeln, heute zum Hochwasser. Hoffentlich geht dir das Programm nicht aus.«
»Du solltest ins Bett gehen. Du hörst dich ziemlich abgefüllt an.«
Anna hörte wieder die Tür gehen, es war die Wiederholung vom Sonntagmorgen, sie schniefte, sie wollte ums Verrecken nicht losheulen, aber sie heulte doch. Sie kam sich billig vor und schäbig, als wären die Lustsignale ihres Körpers etwas, wofür sie sich zu schämen hatte. Sie spürte nichts mehr. Ihr Schluchzen wurde heftiger.
Sie hörte Till nicht zurückkommen. Sie wurde erst wach, als er sie schüttelte.
Weitere Kostenlose Bücher