Hexensabbat
drauf, was idiotisch und lächerlich war. Till machte kehrt und ging wieder nach nebenan, sah sich um. Es waren noch immer kaum Frauen da, nur ein paar ältere Muttis und ein paar ganz junge, er sah sich nach einem reizvollen Gesicht um.
Wie hieß sie noch gleich? Die Junge dort hinten neben der Eingangstür? Er kannte das Gesicht, es war das Mädchen aus dem Blumengeschäft, sie band sehr hübsche Sträuße und war immer sehr zuvorkommend, ein bißchen schüchtern. Ohne die grüne Kittelschürze und mit den lose herabfallenden Locken sah sie fast noch jünger aus, sie konnte höchstens Anfang zwanzig sein. Sie saß allein und zupfte an ihrer Unterlippe, er fand es niedlich und sehr unschuldig. »Tanzen wir?«, fragte er, und sie sprang auf, als hätte sie nur auf ihn gewartet. Die meisten Frauen taten cool und zogen eine Show ab, wenn man sie aufforderte; diese nicht, sie wirkte sehr natürlich. Sie gefiel ihm.
Die Musik nebenan war schnell geworden, es war ein Disko-Fox, zwei Schritte nach links und einmal mit der Fußspitze nach hinten getippt, so hatte Till es in der Tanzschule gelernt. Anna tanzte so, er hatte sie voll im Blick, denn die Tanzfläche war fast leer: Eins-zwei-tipp, der Papageienmensch knickte bei jedem »tipp« in der Hüfte ab und pendelte mit dem Fuß, als ob er nicht sicher wäre, wo er den hinsetzen sollte; es sah ungeschickt aus. Früher waren Anna und Till oft zum Tanzen gegangen. Anna hatte ein gutes Gefühl für Rhythmus; »sei nicht so hölzern«, hatte sie manchmal zu ihm gesagt. Sie hatten drei Kurse absolviert, die Tanzschule hätte Anna gern fürs Turniertanzen angeworben, aber da hatte Till nicht mitgemacht, weil das zu stressig war, »jedes Wochenende, ich bin doch nicht verrückt.« Als Anna allein gehen wollte, war er massiv geworden, und sie hatte nachgegeben. Seitdem war das Tanzen kein Thema mehr.
»He!« rief Till. Seine Tanzpartnerin hatte sich aus seinem Griff gelöst, das feine Haar schwang um ihren Kopf, als sie heftig ruckend dem Sound folgte. Sie gab keine Antwort, lächelte nur, aber so, als wäre sie weit weg von ihm. Die Dissonanzen – wenigstens empfand Till das, was aus der Musikanlage kam, so – schienen direkt in ihren dünnen Körper zu fließen und dort zu explodieren. Es war unglaublich, wie die Musik sie verwandelte. Er fühlte sich plötzlich ziemlich alt. Er sah zu Anna hinüber, ihre Hüften schwangen mit, überhaupt waren ihre Bewegungen sehr rund und fließend; es paßte nicht zu der Musik, in der es nichts Rundes und nichts Weiches gab. Er sah wieder auf seine Partnerin, sie war die Antwort auf diese akustischen Signale, fortissimo und ohne jeden Schnörkel. Sie war sehr jung und sehr weit weg von ihm.
Als der Diskosound in etwas Langsames überwechselte, blieb sie stehen, ihre Arme fielen an ihr herab, und sie sah ihn fragend an. Till zog sie an sich, diesmal folgte sie ihm bereitwillig. »Wie heißt du eigentlich mit Vornamen?« fragte er dicht an ihren Schläfen, wo das Flaumhaar sich feucht kräuselte, sie hatte geschwitzt.
»Andrea«, antwortete sie und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie starrte auf den Schweiß an ihrer Hand und dann hoch in sein Gesicht, als wäre sie ihm eine Erklärung für ihr Schwitzen schuldig. »Bei den ‹Toten Hosen) flippe ich jedesmal total aus«, sagte sie, dann wischte sie sich die Hand an ihrer Jeans ab, bevor sie sie wieder auf seine Schulter legte. Sie schien keinen Wert auf die klassische Tanzschulhaltung zu legen, und Till umfaßte mit beiden Händen ihren Rücken, während er sie weiter hin und her bewegte, langsam schiebend links, rechts, auf der Stelle.
»Klar« sagte er und verschwieg, daß er weder die »Toten Hosen« noch dieses ausgeflippte Gefühl kannte, wenigstens nicht beim Tanzen. Sie war ein ausgesprochen niedliches Ding. Nach fünf Tänzen hauchte er ihr einen Kuß auf den Nacken, dazu hob er die feinen Haarspitzen hoch, sie hatte einen dünnen Kinderhals mit einem Goldkettchen darum. Er glitt mit den Fingern an dem Kettchen entlang bis zu dem Anhänger vorn. »Hübsch!« sagte er und behielt den Anhänger einen Moment lang in den Händen, darunter spürte er ihre Haut, sehr zart und ein bißchen aufgeregt.
»Ich bin Zwilling«, sagte sie und faßte nach dem Anhänger, dabei berührte sie seine Fingerspitzen und wurde rot, »tschuldigung.«
»Zwilling?« Till ließ den Anhänger nicht los, er hielt auch eine Fingerspitze von ihr fest. »Glaub ich nicht«, fuhr er fort,
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