Hexensabbat
betraf.
»Das war geil«, sagte Dr. Nüssli und zog den Reißverschluß seiner dunkelgrauen Tuchhose hoch.
»Ja«, stimmte Anna ihm zu, sie konnte schlecht das Gegenteil sagen. Hoffentlich war ihr Anzug okay, am liebsten wäre sie gar nicht mehr in den Saal zurückgegangen.
Till war nicht mehr dort. Anna sah sich um, sie entdeckte ihn weder auf der Tanzfläche noch an der Bar. Sie hielt die Hand vor den Mund, eine Welle Übelkeit, sie spürte den säuerlichen Geschmack im Mund. Sie schluckte und stieß auf, »Entschuldigung!«, die Welle schwappte zurück. »Ich bestelle Ihnen einen Kaffee«, schlug Tills Chef vor.
Es dauerte fünfundzwanzig Minuten, bis Till zurückkam, zusammen mit der Frau, mit der Anna ihn ein paarmal hatte tanzen sehen. Die beiden kamen nicht an den Tisch zurück, sie blieben an der Bar stehen. Es gab nichts an ihrem Auftreten zu beanstanden, die Frau war auch keines von den Küken, mit denen Till sich gerne schmückte, sie mochte auf die fünfzig zugehen, jedenfalls war sie sichtlich älter als Anna und ein eher herber Typ. Teuer angezogen, der naturfarbene Abendanzug war streng geschnitten und betonte zusammen mit der schwarzen Fliege und dem sehr kurz geschnittenen Haar die maskuline Note dieser Frau. Nur die Ohrclips, die vielen Ringe und die Uhr, die sie trug, waren zierlich gefaßt, fast schon verspielt. Wenn der Schmuck echt war, mußte er ein Vermögen wert sein.
»Ich möchte heim.« Anna war es leid, die beiden zu beobachten. Sie wollte nicht mehr trinken und nicht mehr tanzen, mit wem auch, ihr Tischherr hatte sich auf seine Pflichten als Gastgeber besonnen. Abwechselnd bewegte er jetzt die verschiedenen Damen über die Tanzfläche. Anna war aufgestanden und zu der Bar hinübergegangen.
»So?« Till sah kurz zu Anna hoch, er stellte ihr die Dame neben sich nicht vor. »Könnten Sie bitte ein Taxi bestellen«, bat er den Barkeeper. Der nickte und griff nach dem Telefon. Es war ein Affront. Anna wußte selbst nicht, warum sie die langgeschnittene anthrazitgraue Jacke wieder übergezogen hatte, als sie von den Toiletten zurückgekommen war. Es gab keinen Grund dafür. Keinen einzigen.
Weit weg
Ob sie kommen würde? Till sah auf seine Uhr, halb zwölf. Er ruckte an dem Metallband der Uhr, es bestand aus vielen massiven Kettengliedern. Anette hatte auf dem Betriebsfest eine Uhr mit viel Gelbgold und Weißgold und einem Kranz Brillanten rund um das Zifferblatt getragen. Eine »Cartier«, er hatte einen Blick dafür. Anna zog ihn damit auf: »Weißt du auch noch den Preis?« Ein paarmal war er ihr auf den Leim gegangen. Anna, warum immer wieder Anna? Weg mit ihr! Passe! Vorbei! Die Sache war gegessen. Er erwartete Anette. Die unnahbare Anette Schmucker. Till wußte es besser …
Die Drehtür bewegte sich, Till zuckte hoch, aber sie war es nicht. Eine Fremde trat in die Lobby des »Elysee«, der Herr, der ihr folgte, trug zwei Handkoffer. Niemand schien die beiden zu beachten, es kam auch kein Portier. Es war ein sehr diskretes Hotel. Zuerst hatte Till im »Vier Jahreszeiten« buchen wollen, das Grand-Hotel wäre schon der passende Rahmen für eine Frau wie Anette gewesen. Aber im »Vier Jahreszeiten« blieb man nicht so anonym, und Till war sich nicht sicher gewesen, wieviel Diskretion eine Frau wie Anette erwartete, wenn sie sich mit einem verheirateten Mann in einem Hotel traf. Falls sie überhaupt kam. Till sah erneut auf die Uhr, Viertel vor zwölf. Ihr Flieger mußte vor über einer Stunde gelandet sein.
Anette hatte darauf bestanden, getrennt anzureisen, »wir wollen unnötiges Gerede vermeiden, nicht wahr?« Und er hatte ihr zugestimmt. Schließlich flog sie die Strecke fast wöchentlich, man kannte sie, es war auch nicht auszuschließen, daß einer aus der »Star Ring Gruppe« mitflog, denn fünfunddreißig Prozent der Firma gehörten der »Rem«, und die saß in Hamburg. Anette hatte einen Beratervertrag mit Tills Firma, sie war Betriebswirtin, eine der wenigen, die den Sprung nach oben geschafft hatten. Wenn man sie kannte, wunderte es einen nicht, sie war eine unglaubliche Frau. Till hätte es nie für möglich gehalten, daß sie seine Einladung annehmen würde. Im Grunde hatte sogar sie den Anstoß gegeben. »Nächste Woche bin ich wieder bei der ‹Rem›, aber nur kurz, vielleicht hänge ich zwei Tage Urlaub an«, und da hatte er blitzschnell reagiert. »Wir könnten uns doch zusammentun, ich wäre der glücklichste Mensch.« Sie hatte seine Einladung akzeptiert.
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